■ 77 Prozent der Bahnreisenden wollen rauchfrei fahren
: Da bleibt nur das Klo!

Die Zeiten, wo im Zug nach Herzenslust geraucht werden durfte, sind zumindest auf den Schnelltrassen vorbei. Im ICE sind die Exkremente aus der Raucherlunge so verpönt, daß man nur noch vereinzelt auf Raucherwagen stößt, und die befinden sich wie Quarantänegebiete an den äußeren Enden der Gleisflitzer. Wer dort keinen Platz mehr findet und statt dessen unter Nichtrauchern Platz nehmen muß, ist übel dran. Selbst die Aschenbecher in den Gängen sind seit neustem für Raucher tabu. Und das nur wegen einer Konvention der Europäischen Union, die ab sofort das Rauchen vor den Zugabteilen verbietet!

Als ich also zwischen München und Fulda vor dem Klo von Wagen Nummer 5 mein Feuerzeug zücke, eilt sogleich ein Zugbegleiter hinzu: „Rauchen ist hier nicht erlaubt“, weist er mich zurecht und deutet auf ein rundes Piktogramm an der makellosen Innenhaut des Turbozuges. Also trotte ich in die andere Hälfte des Waggons, dort wo üblicherweise die Raucher sitzen. Doch auch hier ist die Luft makellos, und kein Wölkchen schwebt gen Klimalanlage. Auch Wagen sechs und sieben, acht und auch zehn sind clean. Schließlich versuche ich mein Glück im Bistro. Vergeblich. „77 Prozent unserer Kunden wünschen sich, rauchfrei zu fahren“, informieren hier etliche Schilder. Die Dame am Tresen gibt mir jedoch einen heißen Tip. In Wagen 14 und in den Wagen 1 und 2 dürfe man rauchen. Zum Dank investiere ich fünf Mark in einen Becher Kaffee und schlage den Weg zum nächstgelegenen Wagen 14 ein.

Schon von weitem gehen meine Nasenschleimhäute auf Hab-Acht- Stellung. Tatsächlich: dicke Qualmwolken hängen über den Sitzen des Raucherwaggons. Als ich mich mit gezückter Zigarette in der einen Hand, den Kaffee in der anderen zu den ausgiebig quarzenden Mitreisenden gesellen will, ist wiederum der Zugbegleiter zur Stelle. „Fahren Sie in der 1. Klasse?“ fragt er und beäugt mißtrauisch mein selbstgedrehtes, unförmiges Tabakröllchen. Natürlich nicht. „Dann darf ich Sie bitten, die Wagen 1 und 2 aufzusuchen“, antwortet der Ticket-Pinguin. Nein, ich darf auch nicht auf eine winzige Zigarettenlänge im Gang stehen, geschweige denn auf einem der Extrabreit-Sitze Platz nehmen. Ich könnte, so sein Vorschlag, natürlich einen Aufpreis zahlen. Damit wäre ich dann zum 1.-Klasse-Raucher aufgestiegen, aber so weit geht die Liebe zum Halfzware nun doch nicht.

Also retour und wiederum eine kurze Rast im Bistrowagen, wo ich den mittlerweile kalten Kaffee trinke. Ein alter Mann schlurft herein, in der Hand eine Zigarre. Unsicher blickt er umher, und als er meinen Tabak auf dem Tisch liegen sieht, setzt er sich neben mich und fragt mich möglichst unauffällig nach dem Raucherabteil. Ich gebe ihm angesichts seines Alters den Tip, es mit Nummer 14 zu versuchen. „Aber tun sie so, als hätten Sie ein 1.-Klasse-Ticket“, flüstere ich ihm zu und wünsche viel Glück.

Kurze Zeit später trete ich den Marsch durch die zehn Wagen bis zum Rauchen 2. Klasse an. In den Waggons neun bis fünf sind alle Toiletten besetzt. In der Nummer vier öffne ich schließlich eine Klotür. Da fällt der Groschen. Dicker, süßlicher Qualm schlägt mir entgegen. Vor mir muß hier jemand ganz offensichtlich am Joint gezogen haben, und angesichts der Kippen auf dem Boden hat sich nicht nur ein Suchtbolzen im Klo zum Rauchen verschanzt. Ich mache es mir also ganz nach Art meiner Vorgänger bequem, und während da draußen der Zugbegleiter wie eine Hornisse durch den ICE surrt und jeden Sünder aufpickst, genieße ich das Gefühl, mit jedem heimlichen Zug an der Zigarette das makellose Antlitz dieses Gleispfeils ein wenig zu benebeln. Christine Berger