Mindestens Fegefeuer

Neue Platte, neue Kurztournee: Nick Cave, Sänger und Schmerzensmann, ist wieder da. Die linke und die rechte Hand des Teufels erschienen  ■ Thomas Groß

Gesetzt den Fall, Nick Cave gäbe es nicht schon, er müßte auf der Stelle erfunden werden. Dieses Oberdichterische im Bubengesicht, dieses mutwillige Wandeln auf peinlichen Pfaden, dieses Faustische im halben Hemd – Gottes Schöpfung erstrahlte eindeutig matter ohne ihn.

Vor allem auch ohne seine Texte. Wahnsinn: „Ich habe die Heiligen Schriften durchstöbert, versucht, das Geheimnis unseres Retters Jesus Christus zu enthüllen / Ich habe die Dichter und die Analytiker gelesen, die Bücher über menschliches Verhalten durchsucht / Ich habe mich auf der ganzen Welt rumgetrieben / Auf der Suche nach einer Antwort...“ Und alles nur, um am Ende zu finden, daß er's doch nicht kapiert. Was will das Weib? Sex, Liebe, Poesie?

„Let Love In“ heißt Nick Caves neues Album trotzig, und das wiederum kapiert auch ohne Übersetzung so gut wie jeder. Schon das Cover läßt ahnen, daß es diesmal ganz dick kommt: Nick als bleiche, nackte Schmerzensgestalt, den Blick sehnsüchtig nach oben gerichtet (G.O.T.T.?), während ein zartes, wie hingebatiktes, leicht anthroposophisch anmutendes Feuerrot im Hintergrund keinen Zweifel daran läßt, daß wir uns mindestens im Fegefeuer befinden – wenn nicht gar im siebten Kreis der Hölle. Quer über der leptosomen Brust dann, genau an der Stelle, an der prächtig-verspielte Mythologien vergangener Zeiten den Sitz der Gefühle lokalisierten (H.E.R.Z.!), in Großbuchstaben die Titelei. Da soll sie wahrscheinlich reingehen, reinfahren wie der Blitz: die Liebe.

Verdammt, ich lieb dich

Ein sehr „persönliches“ Album sei „Let Love In“ geworden, sprach der Herr pünktlich zum Erscheinen englischen Cave-Scouts ins Mikrophon. Ein Zeugnis von mehr Konstanz und tätiger Hinwendung zum Irdischen. Nick Cave wäre allerdings nicht der geschätzte Dandy der Düsternis, ginge das ganz ohne Komplikationen ab. Zwar hört man, er habe nach all den Jahren des Umherziehens – von Wangaratta, dem australischen Heimatkaff, über Brisbane, London, Berlin (damals noch Mauer-City), nach São Paulo, wo er sich mehrere Jahre vor der internationalen Ruhmes-Polizei versteckt hielt – in London endlich ein Heim gefunden; ein Sohn gar ward ihm geboren, dem er in Liebe zugetan. So steht es geschrieben. Doch gleich das erste Stück stellt mit allem Pomp und ohne Wenn und Aber die Grundsatzfrage: „Do You love me – like I love you?“

Wenn man den dräuenden Unter- und Obertönen traut, ist das nämlich sehr zweifelhaft. Und tatsächlich: kurz nachdem Cave „God and all His Devils“ in ihr, der F.R.A.U., erschienen sind, singt er auch schon vom dunklen Blut, das die Innenseite ihrer Schenkel hinunterläuft; woraufhin die Stimme, berauscht von der eigenen Metaphorik, kurz abhebt und in einer Art irrem Glöckner-von-Notre- Dame-Szenario etwas von Glocken raunt und zischelt, die unablässig „jingle-jangle, jingle-jangle“ machen.

Also Nick Caves Freundin möchte ich auch nicht sein.

Der Teufel hat den Schnaps gemacht

Stimmt es zum Beispiel wirklich, daß er, vom Heroin geheilt, auch dem Absinth nur in Maßen noch zuspricht?

Mit Verlaub, das Gegenteil ist der Eindruck, wenn im wüstesten Shanty-Ton von „Jangling Jack“ gesungen wird, der „yackety yack“ geht auf der Suche nach einem großen Drink; der böse in die Bar am Ende der Welt reinstolpert, wo er dann unter anderem eine metaphysische Begegnung mit seiner Mutter hat. Ganz zu schweigen von „Thirsty Dog“, einer weiteren Cave-Figur, die in Zuständen heiliger Absenz die halbe Einrichtung demoliert. Bedenklich auch, wenn dem armen Visionär immer wieder ein Mann im dunklen schwarzen Gewand über den Weg läuft, worin dieser – „he's a ghost, he's a god, he's a man, he's a guru“ – eine vielseitig einsetzbare rote rechte Hand verbirgt. Entsetzt erkennen wir nicht nur den Bocksbeinigen, gehörig im Spiel war offenbar auch Dämon Alkohol.

Da hilft wenig, daß der Kater anschließend groß ist. Wortreiche wie poetische Entschuldigungen („I'm sorry it's just rotten luck / I'm sorry I've forgotten how to fuck“) wechseln die Seite, bleiben aber, soweit sich das sagen läßt, unerhört. Nein, ein biederer family man ist Nick Cave wirklich nicht geworden. Ein bißchen schlagerhafter in den Hüften vielleicht, ein bißchen sehr aus dem vollen seines Musikantenfundus schöpfend, doch noch immer sind seine Lieder prächtige Bühnenbilder für mancherlei Art von Einsamkeit. Im letzten Stück, das zugleich das erste ist, tut er für seine Fans sogar einen Schwur: „Onward! And Onward! And Onward I go!“ Sympathie für den armen Teufel.

Alles nur geklaut

Ja, der Sänger, nicht nur das Lied. Daß er mit dieser Tour allerdings gleich so viele verwackelte Seelen in seine Gewalt kriegt, daß manche, von denen man es nicht geglaubt hätte (wenn auch wie hinter vorgehaltener Hand), die neue Nick Cave „ganz gut“ finden, daß also vernünftige, redebegabte, aufgeklärte Menschen, mich eingeschlossen, in ihrer Freizeit solch wüst zusammengereimtem Zeug ihr Gehör schenken – das ist dann doch einigermaßen erstaunlich. Es muß schon mit diesem poète-maudit-Ding zu tun haben, diesen Blüten des Bösen, die niedere, heroische Instinkte in einem wecken. Es hilft ja nichts: Nick Cave ist der Wolf Wondratschek des Post- Punk, und seine Rede ist jaja, neinnein. Gefangene werden keine gemacht, Distanz kommt als Sünde. Denn Ironie ist bloß eine Barrikade vor dem großen Sturm, Spott eine Vorstufe der Kapitulation.

Und deshalb sei den Leuten da draußen zur nutzlosen Warnung noch einmal in aller Deutlichkeit gesagt: Take care! Nick Cave wird wie ein Wiedergänger alle Jahre zurückkommen. Er ist eben einer der letzten großen Crooner in der Lautréamont-Rimbaud-Baudelaire-Aznavour-Tradition, ein Schreckensmann, ein Verbrecher aus verlorener Ehre. Ehe ihr euch verseht, wird er euch mit seinen komischen Schlagern entführt haben auf psychische Hochebenen, auf denen noch tertiäre Ungeheuer hausen.

Vor allem aber wird er euch eure mühsam antrainierte politische correctness rauben. Und schlimmer: Ihr werdet es euch gerne gefallen lassen. Denn was ist der prächtigste Gangsta-Rap gegen das Linsengericht weißer Melancholie? Und was in der Welt ist süßer als die giftigen Dämpfe, die aus hasigen Herzen gen Himmel steigen?

Fremder Mann, schau mich an

Genau so war es dann auch beim Berliner Konzert vorgestern im Tempodrom. Santa Claus bei der Bescherung. All die Lieder von Gnadenstühlen, guten Söhnen, durstigen Hunden, schlimmen Fingern, verführten Verführern und verdorbenen Mädchen zogen in endloser Prozession vorüber, daß es der Gemeinde ein Wohlgefallen war. Und Bölkstoff wurde getrunken. Und Mädchen wie Junge nickte in sich hinein und murmelte Dank. Und die Band, genannt „Die Böse Saat“, war die gestandenste Galerie von Großstadt- Dandies, die im mauerlosen Berlin seit Menschengedenken gesehen ward. Und der Mann, den sie Nick Cave nannten, senkte zum Schluß sein Dornenhaupt und gab zum Dank gleich zwei Zugaben.

War es also überraschend, daß es ganz am Ende des Heimwegs noch zu einer Epiphanie kam? Irgendein gottverlassener Plattenladen in der Nähe der U-Bahn hatte die neue CD liebevoll in der Dekoration verteilt. In der Mitte eine Vergrößerung eines der Postkartenmotive, die der Erstauflage „exklusiv“ beigegeben sind. Ein Porträt des Künstlers als Dirty Old Man: „He's STUPID, and he's UGLY, and he's SORE, and he's LAME, and he's BLIND... give him MORE, give him MORE, give him MORE.“ Und jetzt erst sah ich, daß der Gestalt oben an der Stirn zwei kleine Hörnchen in die Welt hinauswuchsen ...

Da schluckt man als guter Christenmensch schon mal. Aber sie hätten es doch anders machen sollen, dachte ich. Eine Flasche obskuren Fusel dazutun und drunterschreiben: Nie war er so wertvoll wie heute.

Nick Cave and The Bad Seeds: „Let Love In“ (Mute/Intercord)

Noch drei Konzerte: 10.5. Stuttgart, 11.5. Neu-Isenburg, 26.5. Köln