Der Atomausstieg rechnet sich

■ Greenpeace veröffentlicht neue Energiewirtschaftsstudie

Berlin (taz) – Der Ausstieg aus der Atomenergie ist gesamtwirtschaftlich vorteilhafter als die Fortsetzung einer Stromversorgung, die auf Nuklearstrom setzt. Das ist die zentrale Aussage einer von dem Bremer Wirtschaftswissenschaftler Jürgen Franke für Greenpeace verfaßten und gestern in Bonn vorgestellten Abschätzung der ökonomischen Konsequenzen einer radikalen Umsteuerung des nationalen Stromsektors.

Danach wäre es auch für die Stromwirtschaft betriebswirtschaftlich günstiger, die Atommeiler kurzfristig abzuschalten und in ein ökologisch orientiertes, effizientes Stromsystem einzusteigen, wie es Bündnis 90/ Grüne verlangen, oder bis zum Jahr 2000 aus der nuklearen Stromerzeugung auszusteigen, was Greenpeace als Kompromißlinie vorschlägt. Eingespart würden so langfristig die immensen Kosten für die „Nachsorge“ (Entsorgung, Abriß) weiterer Atommeiler und mittelfristig gewaltige Mengen fossiler Brennstoffe. Um die Umsteuerung zu stimulieren, entstehen bis 2010 Aufwendungen von 108,8 Milliarden Mark (Sofortausstieg) beziehungsweise 56,6 Milliarden (Greenpeace-Szenario) Die Differenz zwischen beiden Öko-Szenarien hat eine interessante Konsequenz: Die gesamtwirtschaftlichen Kosten – also die Bilanzierung der betriebswirtschaftlichen und volkswirtschaftlichen Aufwendungen – ergeben für den Sofortausstieg Mehrkosten von 28,5 Milliarden, für das Greenpeace-Szenario dagegen Einsparungen von 38 Milliarden Mark gegenüber dem Trend-Szenario des „Weiter so“.

Eindeutig gegen die Trendvariante neigt sich die monetäre Waage, wenn zusätzlich die Folgen eines möglichen Super-GAUs eingerechnet werden. Ausgehend von einer Eintrittswahrscheinlichkeit des Super-GAUs von einmal in 1.166 Jahren (entsprechend offizieller Risikostudien) und einer immensen Schadenssumme von 10,7 Billionen (10.700 Milliarden) Mark ergeben sich jährliche Kosten von 6,42 Milliarden Mark.

Auch bei der Ökobilanz schneiden die Öko-Szenarien, die mit den gängigen Vorschlägen von Höchstverbrauchsvorschriften für Elektrogeräte, Ausweitung der Kraft-Wärme-Kopplung und Nutzung regenerativer Energien arbeiten, besser ab, als die Trendvariante. Im Fall des Sofortausstiegs müßten allerdings in den ersten Jahren nach dem radikalen Schnitt erheblich mehr fossile Brennstoffe verbrannt werden, so daß der energiebedingte CO2-Ausstoß zunächst anstiege, bevor er bis zum Jahr 2010 – ähnlich wie beim Greenpeace-Szenario – 46 Prozent unter dem Wert von 1993 landen würde.

Interessant ist eine andere Zahl, auf die Heinz Laing, der Greenpeace-Verantwortliche für die Studie, gestern hinwies: Mit weniger als sechs Milliarden Mark jährlich lägen bis 2010 die volkswirtschaftlichen Aufwendungen für die Umsteuerung gemäß dem Greenpeace-Vorschlag noch unterhalb der alljährlichen Subventionen für den Steinkohlebergbau von 7,5 Milliarden Mark (1996). Damit sei auch „eine gezielte Irreführung der Öffentlichkeit“ widerlegt: Die Atomindustrie hat in einer Anzeigenserie behauptet, die volkswirtschaftlichen Einbußen beim Ausstieg aus der Atomenergie beliefen sich auf horrende 238 Milliarden Mark. Gerd Rosenkranz