„Ich will mich nicht bewaffnen“

■ Die 1.Mai-Schlägereien bei der „Waldbühne“ sind längst nicht verdaut

Bisher hatte Olli immer gedacht: „Schlägerei? Kann mir nicht passieren. Wenn man da reingerät, hat man selbst schuld.“ In der Nacht zum 1. Mai jedoch wurde er ziemlich brutal eines anderen belehrt. Wie Hunderte anderer Jugendliche war der 16jährige Olli am vergangenen Samstag zur „Waldbühne“ im Bürgerpark spaziert. Im Lokal fand zwar nichts Besonderes statt, doch lockt der große Garten mit Bier-Abholtheken seit Jahren die Jugendlichen zum 1. Mai an.

Olli und sein Freund Jan schlenderten gegen halb zwölf über das Gelände, als sie von einer Gruppe ihnen völlig Unbekannter angegriffen wurden: „Wir können deine Hose brauchen“, sagten die zu Jan, traten ihn auch schon nieder, den eingreifenden Olli ebenso, und zogen ihm die teure Diesel-Jeans aus. Olli hatte sich mittlerweile wieder aufgerappelt und griff nach der Hose: „Da zog der eine Pistole und schoß mir ins Gesicht. Das tat weh, ich konnte nichts mehr sehen“, beschreibt Olli in dürren Worten den Hergang und seine Todesangst. Einzeln piekste ihm anschließend die Ärztin im Krankenhaus die Splitter der Gaspatrone aus dem Gesicht.

Das war nicht die einzige handgreifliche Auseinandersetzung an diesem Abend gewesen. Den meisten Wirbel, auch bei der Polizei, verursachte die Schlägerei zwischen zwölf „Sieg-Heil“-rufenden Jugendlichen aus Bremervörde und einer großen Gruppe wahrscheinlich türkischer Jugendlichen. Jetzt laufen mehrere Verfahren wegen der „Sieg-Heil“-Rufe und wegen gefährlicher Körperverletzung. „Ich hab' die gesehen“, sagt Olli, der sich politisch als links, aber nicht als radikal einstuft, „der eine hatte ein ganz rotes Hosenbein, im Schenkel steckte ein Messer, und einem anderen haben sie eine abgebrochene Bierflasche übergezogen.“

Letztes Jahr ist es nicht zu solchen Schlägereien gekommen, auch damals wurde die „Waldbühne“ von einer „Schülerinvasion“ heimgesucht, wie es der Lokalbetreiber Achim Grunert ausdrückt. Letztes Jahr nämlich habe man am Zugang von der Parkallee her einen Bauzaun aufgestellt und allen Jugendlichen, die „sich Aldi-Sekt und Sixpacks von der Tanke“ mitgebracht hatten, den Zugang verwehrt. Doch wegen der Absperrung beschwerten sich RadfahrerInnen, und das Müllproblem hatte man damit auch nicht gelöst – „dann lag der Müll eben drei Meter weiter“. Eigentlich könne man sowieso nichts tun gegen die Jugendlichen, so Grunert, „denn eigentlich sind 99 Prozent zukünftige Gäste“.

Jan und Olli haben Angst, denn in Jans Hosentasche steckte ein Portemonnaie mit Adresse. „Aber ich will mich doch nicht bewaffnen“, sagt Olli. Das ist ja auch Quatsch, da jetzt mit Gegengewalt zu antworten, sagt auch Jans Mutter. Wie aber soll er sich dann schützen? So wie ein Freund, der Angst vor einem Typen hat, nun gar nicht mehr in Discos zu gehen, das sei ja auch keine Lösung. Am ehesten, so grübeln die Eltern mit den Jungs, am ehesten sei man noch sicher, wenn man in der Clique bleibe. Aber schweigen, nein schweigen dürfe man nicht: Jetzt suchen sie nach dem jugendlichen Täter und seinen Eltern – zwecks Gespräch. „Es geht doch nicht, daß man sich alles erlauben kann“, sagt Jans Mutter. cis