Büchermachen als Lebensform

Vom Packer bei Wagenbach zum Verlagskaufmann: ein Porträt des Verlegers Mathias Gatza – und seines Verlags, der genau die Autoren im Programm hat, deren Fehlen andere beklagen  ■ Von Jörg Plath

„Nein“, wehrt Mathias Gatza ab und fährt sich hektisch durch das Haar, „hypermotorisch bin ich nicht. Aber nervös.“ Wie zur Illustration springt er kurz darauf von seinem Stuhl auf und läuft durch den großen Raum. Seine Mitarbeiter hätten ihn schon gezähmt, tönt es aus der hintersten Ecke. Früher sei er mit eisenbeschlagenen Stiefeln auf den Holzdielen auf und ab gegangen. Heute müsse er diese weichen Kreppsohlen tragen. Und schon steht der Dreißigjährige wieder vor dem Tisch, um sein prächtiges Schuhwerk zu präsentieren. Der nun stellenweise gezähmte Verleger ist selbst recht empfindlich. Ein Schraubenzieher steckt im Computer auf dem Schreibtisch: „Ich kann das Ventilatorgeräusch nicht ertragen.“

Drangvolle Enge ist der Grund für die Sensibilität des Verlegers und seiner Mitarbeiter. Um jährlich acht Bücher zu produzieren, saßen sie bisher alle zusammen in einem Raum, dem einstigen „Literarischen Sonntagscafé“ von Johannes Schenk in der Dresdener Straße am Oranienplatz. Dank der gesunkenen Gewerbemieten können sich die zur Zeit fünf Verlagsmitarbeiter nun erstmals drei Räume in Neukölln teilen. Neben wechselnden Honorarkräften gehören der Lektor Thomas Hack und Uwe Velten zum festen Team.

Nach der Gründung vor vier Jahren im Frühjahr 1991 bestand der Gatza Verlag aus fünf festangestellten Leuten – zu viele, um sich ökonomisch über Wasser halten zu können. Anfang 1992 kam es zum Knall. Man trennte sich nach guter, wenn auch kurzer Verlagstradition nicht einvernehmlich, sondern „kämpferisch“. Weil zugleich der Mäzen absprang, liefen schnell jährliche Verluste in sechsstelliger Höhe auf. Doch die Verbliebenen, Mathias Gatza und Thomas Hack, dachten in den harten Monaten der „Katastrophenverwaltung“ nicht ans Aufgeben: „Wir sind Wadenbeißer.“

Dem Programm aus dieser Zeit ist die schwierige ökonomische Lage nicht anzusehen. An der auffallend guten Ausstattung der Bücher wurde nicht gespart, und auch die Mischung aus Belletristik, Sachbüchern und Klassikern blieb unverändert. Gatza veröffentlichte weiter unbekannte, junge, deutsche und sehr unterschiedliche Autoren wie Wolfgang Hermann, Jan Peter Bremer, Urs Richle, Michael Roes und Sabine Scholl.

„Nach dem Wegfall der Koordinatensysteme spielt die Frage des Subjekts keine Rolle mehr. Nun beginnt das Spiel, ein ernsthaftes Spiel. Unverbindlichkeit interessiert mich überhaupt nicht. Das Spiel muß einen Sinn haben, und den hat es nur in der Praxis – als Lebensdeutung.“ In solchen Augenblicken scheint hinter Mathias Gatzas Begeisterung so etwas wie existentieller Ernst auf. Die Rastlosigkeit entpuppt sich als Suche. Kein Wunder, daß er Philippe Hadots großen Essay über die antike „Philosophie als Lebensform“ zu seinen wichtigsten Büchern rechnet. Das ist er auch ökonomisch: Jährlich werden 600 bis 800 Exemplare verkauft. Anders als die belletristischen sind die essayistischen Bücher Longseller. Maurice Pinguets „Freitod in Japan“ oder Volker Friedrichs „Melancholie als Haltung“ sorgen für eine solide ökonomische Basis.

Das dritte Standbein des Gatza- Verlages bilden Klassiker, für die keine Autorenrechte zu bezahlen sind. Hier wird gedruckt, was gefällt: ein unbekannter Roman von Henry Fielding, eine zeitgenössische Biographie von Karl Philipp Moritz oder erstmals übersetzte Briefe von Cyrano de Bergerac. Bereits 14.000 exquisit ausgestattete Exemplare („Halbleinen in feinstem Moiré“; prämiert als eines der 16 schönsten Bücher Europas) sind von den „Herzstichen“ dieses barocken Sprachgewaltigen schon verkauft worden. Außerdem erscheint eine Werkausgabe des Surrealisten Max Aub.

Die auf ein ästhetisch und handwerklich anspruchsvolles Minderheitenpublikum zielende Konzeption kann die Nähe zu Klaus Wagenbach nicht verleugnen. Bei seinem „Verlegervater“ verdiente sich Gatza das Studium, stieg vom Packer zum Lektoratsmitarbeiter auf und war eines Tages der Klagen von Germanistikstudenten über die „Qual der Lektüre“ überdrüssig. Wagenbach erhörte ihn und bildete Gatza zum Verlagskaufmann aus. Kaum fertig, machte sich der 25jährige selbständig. Den ersten Autor hatte er gleich im Gepäck, den damals 24jährigen Jan Peter Bremer.

Seine Bücher findet der eloquente und begeisterungsfähige Verleger nicht in den 400 Manuskripten, die alljährlich mit der Post eintreffen. Gatzas „Rezept“ ist der freundschaftliche Kontakt mit den ungefähr gleichaltrigen Autoren; in diesem engen Sinne ist er ein Verleger seiner Generation. Über die Käufer seiner Bücher weiß er wenig – anders als etwa in den 60er und 70er Jahren Wagenbach und Rotbuch mit ihrer engen Leserbindung. Seinen Frühjahrstitel verdankt Gatza Durs Grünbein, der ihm 1992 ein Manuskript von Christoph D. Brumme zu lesen gab. Brumme hatte Angebote von verschiedenen Verlagen, doch nach einem Gespräch auf der Buchmesse schlug er bei Gatza ein.

Der „erste DDR-Kindheitsroman nach der Wende“ (Verlagswerbung) ist eben erschienen. Die Pressestimmen sind ermutigend, auch der Lizenzverkauf ins Taschenbuch läßt sich gut an. So kann das Herbstprogramm wieder größer ausfallen, wenn ihm auch die ökonomischen Schwierigkeiten ihren Stempel aufgedrückt haben. Die bisherigen Verlagsgebiete werden mit einer vierbändigen Klassikerausgabe des Romantikers Wilhelm Müller, einem Roman von Michael Roes und einem Band der Werkausgabe von Max Aub bedient. Hinzu kommen eine politische Biographie des wohl künftigen Ministerpräsidenten Italiens, Berlusconi, sowie eine literarische Anthologie über internationale Hotels. Mit ihr versucht sich der Verlag erstmals im Direktmarketing.

Auf die Dauer aber können die kleinen Verlage der direkten Konkurrenz mit den Großen der Branche nicht standhalten, fürchtet Gatza. „Die Vertreter der kleinen und mittleren Verlage werden im Frühjahr von den Buchhandlungen oft gar nicht mehr empfangen. Die neuen Bücher bleiben in unseren Regalen liegen. Wir müssen uns auf den Herbst konzentrieren, und der Buchhandel muß sich überlegen, ob er die kleinen Verlage überhaupt will.“ Die kleinen und mittleren Verlage müßten überall dort kooperieren, wo die Programmarbeit nicht berührt ist: im Vertrieb, der Werbung, den Räumlichkeiten. Kampflustig lächelt Mathias Gatza bei dieser Vision „synergetischer Bünde“, die in der Branche breit diskutiert werden. Ein richtiger Leisetreter wird wohl nie aus ihm.