Hunderte sind unschuldig hinter Gittern

■ Interview mit Des Wilson, einem katholischen Pfarrer aus West- Belfast

taz: Hat sich an den Haftbedingungen in den nordirischen Gefängnissen in den letzten Jahren etwas geändert?

Des Wilson: Wenn man es mit den achtziger Jahren vergleicht, muß man feststellen, daß sich die Lage der politischen Gefangenen in den Hochsicherheitsgefängnissen Maze und Magilligan verbessert hat. Die Gefängnisse sind zivilisierter und humaner geworden. Das gilt aber nicht für das Belfaster Untersuchungsgefängnis Crumlin Road. Es ist ein Überbleibsel aus dem 19. Jahrhundert. Die Zustände dort sind gräßlich, das Gefängnis ist total überbelegt, von Modernisierungsmaßnahmen keine Spur. Und auch in den englischen Gefängnissen hat sich an der miserablen Situation für irische politische Gefangene nichts geändert. Außerdem werden sie oft in andere Gefängnisse verlegt, ohne daß die Verwandten informiert werden. So kommt es vor, daß die Mutter oder der Bruder die lange und vor allem teure Reise auf sich nehmen, um am Gefängnistor zu erfahren, daß der Gefangene inzwischen in einem anderen Landesteil einsitzt.

Geht es Ihnen also hauptsächlich um die Verlegung der Gefangenen nach Nordirland?

Das Problem ist ein ganz anderes. Alle wissen, daß in den nordirischen Gefängnissen Hunderte von Unschuldigen sitzen. Kirchenvertreter und Politiker setzen die Polizei unter Druck: Sie muß Täter präsentieren. Die Polizei verhaftet Leute und verprügelt sie oder übt psychologischen Druck auf sie aus, um Geständnisse zu erzwingen. Wenn das nicht klappt, werden eben die Verhörnotizen gefälscht. Die Anwälte wissen das, aber sie raten ihren Mandanten zu einem Deal, damit sie billiger davonkommen. Und die Richter, denen all das bekannt ist, sprechen die Leute dann schuldig, weil ihre Kollegen und die Politiker das von ihnen erwarten. Das ganze System ist korrupt, und die Anwälte sind Teil davon.

Warum spielen die Angeklagten mit und gehen auf die Deals ein?

Weil sie dazu gezwungen werden. Der Anwalt stellt sie vor die Wahl, entweder für acht oder für zwanzig Jahre hinter Gittern zu verschwinden. Die Angeklagten wissen, daß sie in diesem System keinen Freispruch erwarten können, auch wenn sie unschuldig sind. Ihnen geht es nur noch darum, möglichst schnell wieder freizukommen. Und sie wissen, daß das nur funktioniert, wenn sie keinen Ärger machen. Deshalb sind die Gefängnisse humaner geworden: Es liegt im Interesse der Behörden. Barbarische Zustände würden nur Widerstand wecken, während erträgliche Bedingungen Ruhe schaffen.

Die Situation wird sich für die Gefangenen also nur ändern, wenn der nordirische Konflikt politisch gelöst wird?

Ja, genau. Alle Beteiligten wissen, daß es bei den Prozessen nicht auf die Beweislage ankommt, sondern daß es sich um politische Entscheidungen handelt. Aber die Vorstellung, daß die Protestanten in Nordirland die Katholiken verfolgen, ist vollkommen überholt. Vor kurzem ist ein Jugendlicher aus Ballymurphy in West-Belfast verurteilt worden, der von einem hochrangigen katholischen Polizisten verhaftet worden war. Der hat ihm ein Geständnis abgepreßt. Der Anwalt, der ihn vor Gericht vertreten hat, war Katholik, und der Richter, der ihn verurteilt hat, war ebenfalls Katholik. Interview: Ralf Sotscheck, Belfast