Und willst du die Wende nicht ...

... so nimm Scharping! Zwei Bücher zu zwei Gesichtern der SPD  ■ Von Jürgen Gottschlich

Kurz nach seiner Wahl sagte US-Vizepräsident Al Gore, hätte er gewußt, daß er so schnell in die Verlegenheit kommen würde, politische Manifeste in die Realität umsetzen zu müssen, wäre sein Buch über die ökologische Wende sicher etwas anders ausgefallen. Möglich, daß das für das sozialdemokratische Autorenkollektiv um Johano Strasser, Michael Müller und Hermann Scheer, die nun ihr Manifest – „Die Wende ist machbar“ – vorlegen, auch einmal gilt. Doch ist die Wahrscheinlichkeit nicht sehr groß. Denn vor der Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Machtverhältnissen steht der Konflikt mit dem großen Vorsitzenden – und da sieht es für die ökologische Linke in der SPD ganz schlecht aus. Bei „Scharpings langem Marsch in die Mitte“, so die Autoren Raschke und Leif in „Rudolf Scharping, die SPD und Macht“, ist für große ökologische Entwürfe kein Platz. Wenn nicht die Grünen Scharping letztlich noch zu einer Kurskorrektur zwingen, weil er, vielleicht, auf sie angewiesen ist, wird es bei einem Sieg der SPD keine Wende geben. Denn Scharping ist alles andere als ein Reformer.

Beide Bücher sind für sich genommen kein Aha-Erlebnis. Raschke und Leif zeigen keinen ganz anderen Scharping, sondern liefern das Material, mit dem das bisherige linksökologische Unbehagen an dem neuen SPD-Chef empirisch unterfüttert wird. Auch die Wende-Autoren brillieren nicht mit den ganz neuen Zukunftsentwürfen. Sie machen jedoch eindringlich klar, daß es nicht an Ideen und Konzepten mangelt, sondern daß deren Umsetzung blockiert wird: durch die amtierende Bundesregierung, die kurzfristigen Profitinteressen der Industrie und die Trägheit einer Gesellschaft, deren Vorstellung vom ökologischen Umbau sich in der Angst ums Auto erschöpft. Beide Bücher zusammen machen jedoch das Dilemma bundesdeutscher Reformpolitik deutlich.

Auf den einfachsten Nenner gebracht, beschreiben Raschke/Leif Scharping als eine etwas modernisierte Ausgabe von Helmut Schmidt. Die Autoren sehen zwei Gründe für diese Entwicklung. Zum einen haben Wirtschaftskrise und die spezifischen Probleme der Vereinigung die klassischen sozialdemokratischen Kernthemen wie die Verteilung gesellschaftlichen Reichtums – zu dem ja auch bezahlte Arbeit gehört – wieder in den Vordergrund geschoben. Zum anderen hat die Linke in der SPD in den letzten Jahren versagt, als es darum ging, ihre Mehrheit institutionell und personell abzusichern. Die Vertreter einer postmateriellen Politik, die Enkel Brandts, haben es nicht geschafft, eine Parteiführung zu etablieren, die ihre Ideen auch erfolgreich in praktische Politik umsetzen könnte – jetzt ist der Enkel Schmidts am Zug.

Scharping, obgleich der Jüngste in der SPD-Ministerpräsidentenriege, ist zugleich derjenige, der am weitestgehenden „alte Politik“ repräsentiert. „Wirtschafts-, Arbeitsmarkt-, Sozialpolitik sowie Fragen der inneren Sicherheit stehen für ihn im Zentrum der Politik.“ Scharping ist jemand, der Probleme möglichst kleinteilig zerlegt, handhabbar macht, um sie dann abzuarbeiten. Schwierigkeiten, die sich dieser Methode verweigern, blendet er aus.

Damit ist das Problem der Wende-Autoren ziemlich genau beschrieben. Globale ökologische Fragen entziehen sich der Methode Scharping und werden deshalb ignoriert. Mit der Floskel, der vermeintliche Gegensatz von Ökonomie und Ökologie sei doch längst widerlegt, zieht Scharping sein Programm durch, ohne nach den langfristigen Folgen zu fragen. Wer da nicht mitmachen will, muß – siehe Zöpel – eben seinen Hut nehmen.

Dabei wird in dem von Johano Strasser herausgegebenen Wende- Buch streng darauf geachtet, daß auch die Fragen der SPD-Traditionalisten mitbedacht werden. Strasser, der eigentlich aus der Sozialpolitik kommt, hat die klassischen ökologischen Themen eingebettet in Fragen nach der Sozialverträglichkeit bestimmter Maßnahmen und Möglichkeiten der Motivation für Otto Normalverbraucher. Er beschreibt Ansätze einer neuen Lebensqualität, um eine ökologisch gewendete Gesellschaft an eine positive Utopie zu koppeln. Die Apokalypse allein motiviere kaum jemanden, meint Strasser zu Recht.

Doch Scharping läßt sich bislang durch die Aussicht auf eine „neue Gesellschaft der Fülle“ nicht ködern. Statt für die Einführung der Sonnenenergie, die letztlich allein den weltweiten Energiebedarf umweltadäquat decken kann, wie ihm sein Parteifreund Hermann Scheer vorrechnet, engagiert er sich für Gen- und Biotechnologie bei BASF, um Arbeitsplätze zu sichern. Sieht er also die drängensten Zukunftsprobleme nicht, will er sie nicht sehen, oder will er sie nur im Wahlkampf nicht zum Thema machen?

Raschke und Leif geben auf diese Fragen keine direkte Antwort. Tatsächlich hat die Prioritätensetzung Scharpings unter dem Gesichtspunkt der maximalen Stimmenausschöpfung für Rot- Grün ja viel für sich. Der SPD- Wahlkampf läßt den Grünen viel Spielraum und zielt darauf ab, Gewinne im CDU-Milieu zu machen. Wenn am Abend des 16. Oktober dann zusammengezählt wird, könnte es mit diesem Vorgehen am ehesten reichen. Nur: Kann man so, quasi auf Schleichwegen, eine Reformkoalition vorbereiten?

Ein Rückblick auf Scharpings bisherigen politischen Werdegang und seine Entscheidungen als Ministerpräsident lassen eher darauf schließen, daß er meint, was er sagt, und jede andere Konstellation einer rot-grünen Regierung vorziehen wird. Der SPD-Abgeordnete Dietrich Sperling, bei dem Scharping einmal als Assistent gearbeitet hat, bezweifelt, daß Scharping sich eine Gesellschaft vorstellen kann, „deren Beachtung der ökologischen Weiterexistenz von Leben so groß ist, daß sie wirklich eine lange Zukunft hat. Dazu kenne ich von ihm nichts.“

Thomas Leif/Joachim Raschke: „Rudolf Scharping, die SPD und die Macht“. rororo aktuell, 256Seiten 14,90 DM

Johano Strasser (Hg): „Die Wende ist machbar“. Piper aktuell, 270 Seiten 19,90 DM