■ Das Portrait: Gyula Horn
Ungarischer Sozialistenchef Foto: Reuter
Etwas im Gesicht von Gyula Horn erinnert immer noch an den kleinen, schwächlichen und überaus klugen Jungen aus dem Budapester Arbeiterviertel Engelfeld. Am ehesten vielleicht das halb furchtsame, halb resignierte Lächeln, wenn er zuhört, wenn er, was schnell geschieht, verletzt ist.
Der 62jährige Chef der ungarischen Sozialisten spricht und hält Reden mit einem Zögern in der Stimme, wie um Reaktionen abzuwarten. Es ist ihm anzumerken, daß er in seinem Leben oft geschwiegen hat, obwohl er doch innerlich empört war.
Vielleicht verbirgt sich dahinter die Erfahrung von zu viel Gewalt. Sein Vater, Arbeiter und kommunistischer Widerstandskämpfer, wurde 1944 von der Gestapo ermordet und ließ sieben Söhne zurück. Horn machte tagsüber eine Feinmechanikerlehre und holte abends das Abitur nach. Er trat in die Partei ein, studierte in der Sowjetunion Ökonomie, fing dann als kommunistischer Beamter im Finanzministerium an.
Während der Revolution 1956 brachten Aufständische seinen Onkel auf brutale Weise um. Horn wurde zum Staatssicherheitsdienst berufen, wechselte später in das Außenministerium. Es folgte eine langsame Karriere als Diplomat, und ebenso langsam wandelte er sich zum Reformer. Als Funktionär gehörte er bis Ende der achtziger Jahre nur zur zweiten Garde der Partei. Gern wäre er Politbüromitglied gewesen. Daß er es nicht wurde, kommt ihm heute zugute.
Als Außenminister der letzten reformkommunistischen Regierung trug Horn wesentlich zur Öffnung des Eisernen Vorhanges bei. Nach 1989 zogen sich seine einstigen Regierungskollegen zurück, gründeten andere Parteien oder nahmen lukrative Jobs im Westen an. Horn blieb bei den Nachfolge-Sozialisten und übernahm die Führung der Partei.
Zu den morgigen Parlamentswahlen ist er offiziell nicht als Kandidat für den Posten des Ministerpräsidenten angetreten. Es heißt, ein anderer Regierungschef wäre ihm lieber. Der Verzicht könnte ein geschickter Schachzug sein. Vielleicht hat sich Horn auch daran gewöhnt, in der zweiten Reihe zu stehen.
Den Wahltag wird Horn im Krankenhaus verbringen. Donnerstag abend wurde er auf dem Rückweg von einer Wahlkampfveranstaltung bei einem Autounfall schwer verletzt. Nach Angaben der Ärzte befindet er sich auf dem Weg der Besserung, muß aber voraussichtlich für einen Monat das Krankenbett hüten. Keno Verseck
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