: Szenen einer Ehe
■ Evelyn und Sergej Kalinin: Der Sowjetsoldat und die Deutsche
„Ja ljublju tebja“, ruft der junge Mann zum Fenster hinaus, „ja ljublju tebja!“ Das Mädchen auf der anderen Straßenseite blickt hinüber zur Kaserne und lächelt. Ihr gefällt, was sie sieht. Und die unverschämten Liebesgrüße, die der russische Soldat ihr herüberschickt, gefallen ihr auch.
32 Jahre später. Evelyn Kalinin und ihr Mann Sergej auf ihrem Sofa in Berlin-Friedrichshagen. Sie ist ein bißchen runder geworden seit damals, er sehr viel schmaler. Ein deutsch-russisches Paar, Großeltern inzwischen, mit einer Matroschka-Puppe im Regal, die von ihren Ablegern im Orgelpfeifenformat umzingelt ist, und einer Basilika auf einem Wandteppich.
„Normalerweise konnten wir die deutschen Mädchen gar nicht kennenlernen“, erzählt Sergej, „wir hatten keinen Ausgang, und jeder Kontakt war untersagt.“ Wer als einfacher Soldat der Westgruppe der Sowjet-Streitkräfte in der DDR stationiert war, durfte Völkerfreundschaft nur theoretisch betreiben. Doch Sergej Kalinin stürmte und drängte es zu praktischer Übung. Er war nur Wehrpflichtiger, besaß aber eine Sondererlaubnis, um die Kaserne in Karlshorst beliebig oft zu verlassen. Die nutzte er. Denn da war das Mädchen von der anderen Straßenseite. Evelyn, gerade erst 18, schlich sich heimlich zu den Verabredungen, ihre Eltern durften's nicht wissen. „Dann hatten wir das erste Mal was zusammen“, sagt sie mit leichtem Spott, „und prompt war ich schwanger.“
Nachdem Kalinin gehorsamst gemeldet hatte, daß er gedenke, eine Deutsche zu heiraten, wurde Evelyn zum Verhör geladen. Anschließend informierte die Militärbehörde die Schwiegereltern in spe. „Meine Mutter hat Theater gemacht“, erinnert sich Evelyn, „mein Vater war gefaßter.“ Eigentlich hätten die Eltern nichts gegen Russen gehabt, „sie hatten nur Angst, daß ich nach Moskau ziehen würde“.
Doch das wäre zu einfach für eine dramatische Liebesgeschichte. Die Militärleitung trennte das Paar: Erst gab sie die Erlaubnis zur Trauung, dann schickte sie Sergej mit einem Trick nach Moskau zurück, um ihm dort zu verkünden: „Heirat mit deutscher Frau unmöglich!“ Evelyn saß in Karlshorst, Sergejs Adresse in Moskau hatte sie nicht, irgendwann schrieb er nicht mehr. Sie arbeitete als Säuglingsschwester, gebar ihr Kind und träumte von ihrem russischen Soldaten.
Die Bürokratie, die sie getrennt hatte, führte Sergej und Evelyn auch wieder zusammen. Die DDR hatte sich gegen allzu ruhmreiche Erfolge der Sowjetarmee abgesichert: Ein Abkommen regelte die Zahlung von Alimenten. Evelyn wollte kein Geld, nur eine Anerkennung der Vaterschaft. Sie wurde vor einem deutschen, Sergej vor einem sowjetischen Gericht vernommen. „Ich will keine Alimente zahlen“, hab ich den Richtern damals gesagt, ich will heiraten!“ Er nahm den Kontakt mit der Liebsten wieder auf. Nach zwei Jahren Trennung durften Evelyn und das Kind nach Moskau. Nur zu Besuch. Der dauerte ein ganzes Jahr. Damals, 1966, haben sie geheiratet. „Die Menschen in Rußland“, sagt sie, „sind mir so entgegengekommen, wie ich es nach diesem Krieg nie geglaubt hätte.“
Weniger entgegenkommend war die Wohnsituation. Mit vier Familien in einer Vierzimmerwohnung. Gut, sagte Sergej, gehen wir zurück nach Karlshorst. „Da ging es uns dann wirklich ganz prima“, stellt er rückblickend fest, aber Evelyn unterbricht ihn: „Weißt du nicht mehr, wie empfindlich du in der ersten Zeit in der DDR reagiert hast? Auf all die dummen Bemerkungen, die kamen, nur weil du Russe warst?“ Doch Sergej will von alten Kränkungen nichts wissen: „Ich habe hier nie Haß erlebt!“ Evelyn arbeitete als Dolmetscherin bei der Westgruppe, ihr Mann als Ingenieur. Sie hatte ihre deutsche Staatsangehörigkeit behalten, er seine russische, die Kinder – bald waren es drei – hatten beide.
So hätte es weitergehen können. Da bekam Sergej Heimweh. 1973: Wieder ein einziges Zimmer in einem „Allgemeinwohnheim“ in Moskau, wieder keine Arbeit für Evelyn. Als sie die Zustände im Wohnheim kritisierte, bekam sie Besuch von der Bezirksparteileitung: „Warum beschweren Sie sich?“ wurde ihr vorgehalten, „schließlich wart es ihr Deutschen, die hier alles kaputt gemacht haben.“
1975 siedelten sie wieder um. Nach Friedrichshagen. In dieselbe Zweieinhalbzimmerwohnung, in der sie heute noch leben.
„Meine Schwester“, erzählt Sergej, „hat mich gefragt, wo ich beerdigt werden will. Was für eine Frage! Hier, wo meine Frau, meine Kinder und Enkel sind, bin ich zu Hause. Seit damals krieg ich nie wieder Heimweh.“ Bascha Mika
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