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■ Kulturelles MilieuEnthauptung

Die Rolle „Westberlins“ als Kulturstandort erlebt derzeit einen nicht wenig schmerzlichen Einbruch. Die Bezirke sollen sich verabschieden von liebgewonnenen Büsten lächelnder Königinnen und zauberhaften Landschaften großer Maler. Die Wanderung der Kunstwerke zurück an ihren ehemaligen Ausstellungsplatz auf der Museumsinsel reißt Wunden.

Charlottenburg fühlt sich ausgeraubt. Nach Dahlem verirrt sich kein Mensch mehr, fürchten die lokalen Kulturfans. Die Entführung der Meisterwerke tut weh. Hauptsächlich schmerzt dabei vielleicht, daß Geld und Renommee, Image und Standortvorteile verlustig gehen werden.

Die räumliche Schwerpunktbildung in der Mitte der Stadt bedeutet eine bezirkliche Kunstenthauptung, die alte Suppentöpfe anrührt. Doch das war vorhersehbar: Daß die Doppelexistenz vieler kultureller Institutionen, daß der Riß durch Sammlungen und Archive nicht zu halten war, ist ein nüchternes Zahlenspiel. Mit urbanen Strategien, wie im Stadtforum angedacht, wollen sich die Bezirksfürsten nun nicht abspeisen lassen. Das klingt zu sehr nach kultureller Abraumhalde, nach Heimatmuseum. Was also tun? Die Stadt wird es sich nicht leisten, Kulturstandorte auf Dauer fallen zu lassen. Weder kann das Kulturforum eine Wüste bleiben, noch wird das Charlottenburger Schloß zu einer Ruine werden. Die Dezentralität der Stadt selbst, seine kulturellen Milieus und Kulturstätten gehören zu den wesentlichen Entwicklungskräften, die Berlin besitzt. Schon deshalb wird kein totaler Raubzug stattfinden. Mit dem Auszug der alten Kunst suchen leere Räume neue Konzepte, Bilder und Töne. Die Rolle und Funktion der Kunst hat kein Ende. Nur dann, wenn nicht weitergedacht wird. Rolf Lautenschläger

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