■ Die großen Bildungsbosse kennen keine Not:
: Schulbücher für Rußland

St. Andreasberg (taz) – Der russische Bildungsminister ist ein bescheidener Mann: Professor Dr. Eugenij Tkatschenko kam als ganz normaler Passagier am Berliner Flughafen Schönefeld an und stand mit dem Generalsekretär der Russischen Akademie für Bildung, Professor Dr. Nikolai Netschajew, sowie 15 weiteren Bildungsexperten im Handgepäck geduldig im Stau. Hatte ihm doch der niedersächsische Kultusminister Rolf Wernstedt Hilfe bei der Reformierung des russischen Bildungswesens zugesagt.

Extra fand eine Fachtagung deutscher Experten und der russischen Gäste statt, die vom Niedersächsischen Landesinstitut für Lehrerfortbildung, Lehrerweiterbildung und Unterrichtsforschung (NLI) aus Hildesheim organisiert wurde. Hochoben im Harz referierte Minister Tkatschenko, Experte für Festkörperchemie, über die Notwendigkeit demokratischer Erneuerung, über die politische Stärkung der Regionen und die Erziehung junger Menschen zu Trägern einer neuen Gesellschaftsordnung. Sein Kollege Wernstedt fand das alles toll und fragte, wo ihn denn der Schuh besonders drücke.

Schulbücher brauche er, erläuterte der Minister. Und das sei sein Problem, denn allein zur Grundversorgung benötige er 400 Millionen Stück. Da war es erst einmal still im Harz, doch Tkatschenko legte nun los: 67.000 allgemeinbildende Schulen gebe es in Rußland, insgesamt sei er für 160.000 Bildungseinrichtungen verantwortlich. Rußlands Druckereien könnten jährlich nur 120 Millionen Bücher herstellen, die Transportfrage sei ungeklärt, und Geld habe das Land schon gar nicht. Zur Zeit nutze er den Notfonds – sonst werden Kosten durch Erdbeben-Katastrophen über ihn finanziert.

Da fühlte sich Niedersachsens Bildungs-Boß mit einem Mal ganz schön klein, gestand ein, daß ihm der Atem wegbleibe. Sicherheitshalber tagten die Bildungsexperten erst mal weiter und nahmen teil an der Maifeier eines kleinen SPD- Ortsvereins, wo der bescheidene Minister höflich lächelte und darüber hinwegsah, daß die Rußland- Fähnchen mit der falschen Farbe nach oben aufgestellt worden waren. Und er wurde belohnt: Die NLI-Projektgruppe für neue Technologien entwickelte den Plan, die Schulen zunächst mit Computern, Druckern und einem Modem für den Telefonanschluß auszustatten. So könnten die Bücher von Moskau aus übermittelt, in der Schule einmal ausgedruckt und vor Ort in benötigter Zahl fotokopiert werden. Minister Tkatschenko strahlte, dankte und flog erfreut zurück – mit einer Weltuhr von Kultusminister Wernstedt, damit er stets weiß, welche Zeit in der russischen Region Tschuikotka ist. Die Flugzeit zu seinen dortigen Schulen beträgt zehn Stunden. Christian Arns