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■ SchreibengerichtBlur / Morrissey / Carmaig de Forest / Chumbawamba / Slime

Parklife (Parlophone/EMI)

Same procedure as every year im alten Britannien: Schon wieder keine neuen Beatles, schon wieder kein Sturm auf Amerika, und wer an den Mini-Hype dieses verspäteten Frühlings, die Wiedergeburt des Punk aus dem Geiste der Industrie glaubt, ist ohnehin selber schuld. England träumt. Die paar Bands, die als Modelle dieses Jahres gehandelt werden, hängen in ihren Videos wie sitzengebliebene Sex Pistols in der U-Bahn rum, tüfteln sich maschinell in Trance oder kommen einfach nicht aus dem Bett. Lohnt sich ja auch nicht. Der Gasmann will bloß Kohle, und aus dem unauffälligen Typ mit der Melone ist der Schuldeneintreiber geworden, der dich noch in deine Stammkneipe rein verfolgt.

Blur, immerhin eine sogenannte Pophoffnung, machen gar nicht erst den Fehler, raus aus all dem zu wollen. Splendid Isolation. Innere Monologe. Ist doch auch was. Köstlich. Jetzt schau dir bloß die Alte an, wie sie mit ihrem neuen Gebiß die Pizza beharkt. Oder den Typen auf der Bank, der die Tauben füttert. Dann all diese Mädchen aus den Vorstädten, zum In- sich-rein-Kichern. Und vorneweg der dumme Hooligan, der nicht ahnt, daß er gerade in einem unsterblichen Stück populärer London-Geschichtsschreibung verewigt wird. Ahhhh, das ist sublim, das ist der ennui von Söhnen der unteren Mittelklasse, die gebildet genug sind, das Spiel zu durchschauen, aber nicht dumpf genug, es auch mitzuspielen. Lieber drücken sie sich beim Windhundrennen herum, immer auf der Suche nach Stoff. „All the people“ heißt der Refrain des Titelstücks von „Parklife“, und wie Blur ihn singen, klingt es ein wenig wie „Obladi, oblada, life goes on bra“, genauso blödsinnig, aber auch genauso ominös. Da sage noch einer, zwischen Park und Pub sei nichts los.

Aber zum 5-Uhr-Tee sind wir doch wieder zu Hause, und abends wird dann alles in die Kunstharzform des perfekten Pop-Songs gegossen. Blur sind mit XTC verglichen worden, mit Bowie, Bolan, Barrett und (eben doch) den Beatles – was alles okay ist und so superoffensichtlich, daß es schon fast den Pop-Verstand beleidigt (von der Plattensammlung zu schweigen): natürlich ist „Jubilee“ reinster Bowie der „Jean Genie“- Phase, natürlich macht „End Of A Century“ mit Pauken und Trompeten auf „Penny Lane“; durch die ganze Szenerie zieht unablässig eine Marching Band, die sehr bekannte Rummelplatzatmosphäre verbreitet, und mit etwas Phantasie zitiert auch das „Mystery Of A Speedy Car“ aus „London Loves“ den Austin Mini, mit dem Marc Bolan damals an den Baum raste.

Der Witz ist viel eher, daß „Parklife“ trotz dieses Supereklektizismus keine Nostalgikerplatte ist. Man merkt es nicht gleich, weil soviel Glanz und Melodie sich in letzter Zeit selten mit dem Leben im Park und der Vorstadt gepaart hat, aber das ist eben Overstatement. „Trouble In The Message Center“ heißt eines der schönsten, wirrsten Stücke auf dieser dritten Blur-CD, und das sagt eigentlich alles. Blur sind der wunderbare Waschsalon der Neunziger, sie bringen die Koordinaten der Popwelt für ein paar Sekunden durcheinander, weil sie Pop sind und Delinquenz, Dandies und Sozialkritiker, Dissidenz und Eleganz. In den vielen Verkleidungen des Ever Changing Mod meldet sich ein Blick auf Britain's Glory an, der gnadenlos sein kann und sich dennoch den Luxus leistet, auf Romantik und Glamour nicht zu verzichten.

Tja, und „Parklife“ gerade in seiner Britishness eine, wie soll ich sagen?... wirklich tolle Platte. Kein Sturm auf Amerika, wozu auch? Amerika ist ein leerer Flugzeughangar, England eine überdrehte Spieluhr.

Morrissey

Vauxhall And I (Parlophone/ EMI)

Wo wir schon beim Thema sind: Morrissey, der Mann fürs Feine, soll auch diesmal nicht gänzlich ohne Erwähnung und Würdigung davonkommen, hat er doch nach diversen Ausflügen ins Trash- und Americana-Genre wieder zum alten Manchesterismus der Gefühle zurückgefunden. Aus „Vauxhall and I“ erfährt man zwar nicht unmittelbar etwas über sein Verhältnis zu dieser altenglischen, von BMW aufgekauften Autofabrik (es scheint eher poetischer Natur zu sein), doch in den elf Songs ist Platz genug für epische Einfühlungen in die Tragik von Rettungsschwimmern („Lifeguard Sleeping, Girl Drowning“), die Tragik einseitiger Liebe („I Am Hated For Loving“) und, gewissermaßen als Minimalversagung, die Tragik verflossener Kindheitsglücke („Used To Be A Sweet Boy“).

Überhaupt für das Tragische, wie es uns im Sozialen nur allzuoft entgegentritt: „Es wird Ärger geben/Das ganze Haus wird wiederaufgebaut werden müssen/Und jeder, den ich liebe in dem Haus/wird schon sehr bald auf die Couch eines Analytikers klettern ...“ Das, Freunde und Nachbarn, ist Stadtneurose reinsten Wassers, nur ohne die komische Distanz eines Woody Allen. Humor – ich will nicht sagen, daß es ihn bei Morrissey gar nicht gibt, aber er verbirgt sich doch recht gut in den dunkeltraurigen Moods. Was alles noch um ein paar Windungen verschärft und dieses süße Gefühl der Vergeblichkeit endgültig wachküßt. „And I just can't explain, so I won't even try to ...“

Das wiederum ist natürlich etwas kokett: Denn wer könnte die Gefühlslagen des gutgefüllten Gebeuteltseins eloquenter auseinanderlegen, ausdrücken, ja auspressen? Wer wäre zu dieser inneren Herkulestat in der Lage, wenn nicht Morrissey? Erstaunt und abermals bewegt, nimmt man zur Kenntnis, was die Blake/Keats/Oscar-Wilde-Tradition auch im profanen Europa noch an komplizierten Brechungen herauszuarbeiten in der Lage ist, und fragt sich allenfalls: Wie kommt es bloß, daß Morrissey bei alldem nicht blasser im Gesicht ist, vielmehr fast wie ein Model vom Cover herabblinkert? Keine Augenringe, keine Hängebacken, von Tränensäcken zu schweigen – wo läßt der Mann arbeiten?

Death Groove Love Party (Knitting Factory Works)

2 x armes, kleines Amerika: Die neue (Live-)LP des lange für verschollen geltenden Hinterwäldlers Carmaig de Forest über die Amsterdamer Dependance des Knitting-Factory-Labels zu kriegen, war kein ganz leichtes Stück Arbeit. Mit zittrigen Fingern ausgepackt. Leider erwies sich das Objekt dann als nicht ganz so genial wie das dylaneske „I shall be released“ von vor 7 Jahren. De Forest schrubbt sich mit Ukulele und Freunden (darunter auch Gordon Gano von den Violent Femmes) durch ein Repertoire, das bei Lennon/McCartney aufhört und bei Dylan losgeht – was insgesamt den Eindruck verschärft, daß es sich bei „Death Groove Love Party“ um De Forests ureigenste „Basement Tapes“ handelt. Für Kellerkinder deshalb doch mehr als ein Collector's Item.

Anarchy (One Little Indian/

Rough Trade)

Stell dir vor, eine Band ist linksradikal, und nur eine Handvoll Gerechter hat's gemerkt: Chumbawamba aus Leeds, die Band, bei der Fritz Teufel mitmachen würde, wenn er noch jünger wäre. Vor 12 Jahren aus der lokalen Hausbesetzerbewegung hervorgangen, macht sie nach wie vor ihren kollektiv erzeugten Sozialismus-Pop mit freundlicher Benutzeroberfläche. Strategie: keine Stars, keine Images, keine Rädelsführer, die ihre Birne in die Kamera halten, aber auch keinen Traditionalismus, keine altlinken Verbissenheiten und vor allem: keine Berührungsängste mit den „Neuen Medien“, mit Samplern, Sequencern und Drumcomputern, die in guter alter Avantgarde-Tradition im Sinne der Linken genutzt werden sollen. Wie heißt der Spruch zur Zeit doch noch mal: Gute Laune ist besser als Kulturpessimismus.

Weil Chumbawamba damit einigermaßen radikal verfahren, ähnelt das auch auf dem neuen, schlicht „Anarchy“ betitelten Album von außen stark der Musik, die du zu hassen liebst: Formatradio-Pop, Durchschnitts-Dance- Musik, schottische Folklore, Schlager-Trash, Billig-Rap, Schweine- Reggae – eben allem, was so aus den Boxen quillt, wenn du mit dem Suchlauf über die Senderskala surfst. Auch der schwerverschmitzte Dada-Tanzflur von KLF (respektive The Justified Ancients Of MuMu) ist ein guter Verwandter. Während diese allerdings von sich behaupten, sie wären „antik“ und „berechtigt“ und sie würden einen Eiskremwagen fahren, soll bei Chumbawamba irgendwann doch noch die Botschaft einschlagen, die bloß kassibermäßig im Popgewand verborgen war. Das Piratensendermodell: alles nicht so verkniffen sehen, sich wie ein Fisch in fremden Wellen bewegen, und dann aber hallo. Chumbawamba sind sozusagen das Radio Dreyeckland des Pop.

Erfreut erkennt der innere Decoder Botschaftsschnipsel aus verschiedenen Zeitzonen: den Rebel Yell der frühen Dexy's Midnight Runners („For God's Sake Burn It Down!“), den Antichristen-Anarchismus der Sex Pistols – all die Referenzen auf eine Geschichte der populären Subversion, die aber nicht länger Handlungsanweisung sind, sondern Material, mit dem man erst einmal etwas Neues anfangen muß. Das heißt: Knoten knüpfen, Kanäle erforschen. Chumbawamba sind sozusagen die Agentur Bilwet des britischen Anarchismus, ihre Platten ein Potpourri angewandter Medientheorie. Und genau deshalb streuen sie zwischen die permanente Montage immer wieder Slogans, die die User-Qualitäten der Fangemeinde aktivieren sollen, indem sie sie auffordern, eher den Parkuhren zu glauben als den politischen Leadern – so nachzuverfolgen etwa in „Never Do What You Are Told“, oder, von Stephen Stills entlehnt: „Stop now, what's that sound, ev'rybody look what's going down“.

Weil dieses Datendandy-Element aber auf die Dauer vielleicht doch zu kompliziert ist, probieren Chumbawamba auf einigen Stücken auch eine Art doppelt gewendete Affirmationsstrategie: den Pop-Appeal noch poppiger machen, das Plakative noch plakativer, bis alle Doppelbödigkeit aus dem Material verschwunden ist. In „Homophobia“ erfährt man folgerichtig, daß Schwulenfeindlichkeit „the worst disease“ ist. Und „Time Bomb“, der erste echte Radiohit der Band, ist eine Art Stimmungsschlager auf den Sieg des Sozialismus, der mehr oder weniger als Frage der Zeit interpretiert wird.

Das sind dann auch genau die Punkte, wo befürchtet werden muß, daß die Gefahr, in die die Band sich begibt, sie irgendwann umbringt. Wenn nämlich vom Kampf für das Recht auf die Party nur noch die Party selber bleibt und Chumbawamba die Bots des Linksradikalismus werden.

Schweineherbst

(RecRec Music)

Vielleicht ist die Zukunft des britischen Pop-Linksradikalismus also nicht ganz so prächtig, wie es über den Ärmelkanal herüberglänzt, aber der deutsche ist doch ein Depressivum dagegen, und zwar ein schweres. Slime aus Hamburg zum Beispiel, als Hausbesetzer-Combo ähnlich wie Chumbawamba aus dem Endsiebziger/Frühachtziger- Beben hervorgegangen, daddeln immer noch punkisch-orthodox vor sich hin, als müßten sie den Papst zur reinen Lehre des Pogo bekehren. Bloß der Themenschwerpunkt hat sich leicht verschoben: Statt „Bullenschweine“ und „Polizei SA SS“ jetzt DDR- Anschluß, Deutschland-bleiche- Mutter, Neonazis, bleierne Zeit im „Schweineherbst“. Männer kämpfen ihren einsamen Kampf. Bloß ein einziges Mal wird es komisch, nämlich wenn der Sänger plötzlich allen Ernstes behauptet, es fiele ihm zur Gesamtlage gerade „Celans Geschichte“ ein, „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“.

Wenn der das sagen darf, darf ich auch noch mal sagen: Gut ist das Gegenteil von gut gemeint.

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