Auf Risiko gespielt

■ Der erste "Deutsche Jazzpreis" wurde in Berlin vergeben

Begleitet von einem viertägigen Konzert- und Diskussionspaket in Sachen Deutsch-Jazz, das bis gestern in der Berliner Wabe stattfand, wurde am vergangenen Freitag im Rahmen des 4. JazzFocus und des 19. JazzForums der erste „Deutsche Jazzpreis“ vergeben. Aus Anlaß des zwanzigjährigen Bestehens der Union Deutscher Jazzmusiker (UDJ), der mit 350 Mitgliedern bundesweit größten Vereinigung deutscher Jazzmusiker, spendierte die bislang nicht als jazzfreundlich in Erscheinung getretene Gema-Stiftung den mit 20.000 Mark dotierten Preis. Er soll fortan alljährlich an eine herausragende deutsche Musikerpersönlichkeit des Nachkriegsjazz gehen, bei der, wie es im Gema-Jargon heißt, „ein Lebenswerk von hohem Rang bereits entstanden“ sei.

Wer es nun für ausgemacht hielt, daß der Posaunist und Komponist Albert Mangelsdorff als erster Preisträger das Rennen mache würde, wurde mit einem cleveren Clou der Jury gefoppt. Aus eins mach zwei, dachte man sich da wohl: So rückte der potentielle Preisträger zum Namensgeber auf und ein Listenplätzler als Gewinner nach. Kurzum: Conny Bauer, Wolfgang Dauer, Jörg Huke, Frank Köllges, Peter Kowald, Joachim Kühn, Hans Reichel, Manfred Schoof und Günter „Baby“ Sommer wurden von der Jury zu den „Nominés“ des deutschen Jazz gekürt, und der Berliner Free- Jazz-Swinger Alexander von Schlippenbach erhielt den ersten Albert-Mangelsdorff-Preis aus der Hand des Namensgebers.

Mangelsdorff gilt als der Initiator und Repräsentant des deutschen Nachkriegsjazz schlechthin. Regelmäßig wird er von der internationalen Jazzkritik als „Europa- Posaunist des Jahres“ gekürt, und selbst amerikanische Jazz-Stars wie Joe Henderson oder John Lewis bezeichneten ihn bereits als „wichtigsten Erneuerer des Posaunenspiels“. Trotz weltweiter Anerkennung kehrte der heute 65jährige Mangelsdorff jedoch immer wieder nach Frankfurt und zu „grüner Soß“ zurück.

Rechtzeitig zur Preisstiftung erschien beim Oreos-Verlag ein Oral-history-Buch von Bruno Paulot, in dem Mangelsdorff in ausführlichen Gesprächen die jüngere deutsche Jazzgeschichte nachzeichnet, und von Motor-Music wurden drei legendäre MPS-LP's als CD-Pack wiederveröffentlicht, auf denen der Posaunist unter anderem mit Elvin Hones, Jaco Pastorius und Ronald Shannon Jackson zu hören ist.

„Wir haben auf totales Risiko gespielt“, resümiert der Posaunist die Zeit zwischen ‘68 und ‘70, „als sowieso alles im Umbruch war. Unsere Musik war ja, wenn man so will, auch ein Protest gegen die Gesellschaft, gegen alle die, denen es wahnsinnig gut ging, die krankmachen und feiern konnten, der Staat hat's ja bezahlt, es war ja genügend Geld da. Entsprechend haben sich die Leute auch verhalten, saßen unheimlich auf dem hohen Roß, während wir noch immer herumknapsen mußten. Man hat uns sogar verweigert, in die gesetzliche Krankenkasse zu gehen“.

Von 1973 bis 1983 war Mangelsdorff der 1. Präsident der UDJ, die Vorstandssprecher Peter Ortmann als ein „typisches Kind der sogenannten 68er Bewegung“ bezeichnet. „In dem Sinne, daß sich damals junge und nachgewachsene zeitgenössische KünstlerInnen emanzipierten und ihre Interessen – stärker als bisher wahrgenommen – der Öffentlichkeit gegenüber äußerten. Sie forderten – was für klassische Musiker stets selbstverständlich war – ihren Anteil öffentlichen Bewußtseins und angemessener Förderung.“

Die UDJ verstehe sich als „berufsständischer Zusammenschluß“, der sich um Lobbyisten, Projektsponsoring und Subventionierung sowie um Kommunikations- und Handlungsstrukturen für die bundesweit etwa 4.000 „selbstaktiv“ operierenden Jazzer bemühe. Ortmanns aktuelle Statistik: mindestens 70 lokale Jazzinitiativen, 14 regionale Landesarbeitsgemeinschaften des Jazz, etwa 700 professionelle Jazzmusiker, von denen aber nur eine Handvoll vom Jazz leben kann. Dazu kommen dann noch etwa 100 Jazzhochschulabsolventen, die jährlich in ein „Berufsleben“ ohne Berufsbild entlassen werden.

Im altdeutschen Jazz-Zentralorgan JazzPodium wollte man unlängst gar die „Gefahr“ für den 90er-Jahre-Jazz ausgemacht haben: „Es gibt Workshops, Lehrgänge, Kurse und Meisterklassen in kaum noch übersehbarer Menge, Landes- und ein Bundesjugendjazzorchester, Wettbewerbe und Preise. So haben wir inzwischen an bestimmten Orten die absurde Situation, daß es mehr Menschen gibt, die Jazz spielen, als welche, die ihn hören wollen.“

Peter Ortmann hingegen wertet die Entwicklung des „Jazz made in Germany“ als Erfolg, an dem die UDJ starken Anteil hatte. Problematisch sei hingegen die Dominanz amerikanischer Jazz-Stars auf deutsch-subventionierten Jazzfestivals. Der deutsche Anteil liege da unter 5 Prozent.

Eine tariflich verankerte Minimalgage von 300 Mark pro Musiker/Konzert fordert die UDJ für die 90er. Auch die Gema-Statuten müßten geändert werden: Bisher werden von dem 900-Millionen- Mark-Etat nur Krumen an den Jazz verteilt, da der, nach wie vor als U-Musik klassifiziert, auf den Status dörflicher Marschmusik gedrückt wird. Die Einrichtung eines JazzComposersOrchestras, bundesweit geförderter Newcomer- Konzerte – so lauten weitere UDJ- Forderungen. Und daß die Seh- und Hörmedien der ARD endlich mal ihrer Aufgabe nachkommen: dem „Transport einheimischer Jazzproduktionen“. Christian Broecking