Wasser, Fisch und Harmonie

Das Elbe-Colloquium der Michael-Otto-Stiftung traf sich im Dessauer Bauhaus / Gehversuche für die Versöhnung von Ökologie und Ökonomie / Gutachten warnt vor dem Allheilmittel sanfter Tourismus  ■ Von Heide Platen

Der ältere Herr mit dem weißen Haar ist Wasserbauer, das heißt, er baut Staustufen, Schleusen und betoniert Ufer. Er kennt den Fluß. „Die Elbe“, schimpft er, „ist seit Jahrhunderten eine Wasserstraße.“ Und er fühlt sich mißverstanden. Das Gelächter, daß sein Kollege vom Bund Deutscher Schiffahrt im Plenum erntete, kann er nicht verstehen. Der hatte doch nur gesagt, daß Schleusen einem Fluß nicht schaden und schon gar nicht den darin herumschwimmenden Fischen. Jede Schleuse habe doch schließlich heutzutage eine Fischtreppe.

Da können die Natur- und Umweltschützer aber auch ein bißchen gemein sein. „Sie haben Schuppen, und das nicht nur auf den Augen und nicht vom Fisch“, hatte einer anzüglich mit Blick auf den Kragen des dunkelblauen Jacketts seines Gegenübers gestichelt. Und es kam noch härter.

Dabei hatte alles so harmonisch angefangen im Saal des legendären Bauhauses an der Gropius-Allee in Dessau. Über 200 Interessierte hatten sich zum „Elbe-Colloquium“ der Hamburger Michael- Otto-Stiftung angemeldet. Der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Christoph Bergner, übernahm die Schirmherrschaft. Zwei UmweltministerInnen saßen mit auf dem Podium, Wirtschaft und Naturschutz waren zum Dialog geladen. Reihum referierte ein halbes Dutzend Professoren und Doktoren den neuesten Stand von Forschung und Lehre, ganzheitlichem Denken, Versöhnung von Ökonomie und Ökologie.

Im Foyer hat der World Wildlife Found (WWF) seine Schautafeln aufgebaut. An der Elbe hellem Strande, auf Kies- und Geröllbänken nistet das genuine Feindbild der Wasserbauer, der Strandregenpfeifer. Aus einem Schaukasten blickt ein veritabler, ausgestopfter Elbe-Biber. Die letzten seiner Sorte haben als einzige europäische Biberpopulation (Castor fiber albicus) in den Auenwäldern der Elbe überlebt. Im Saal versucht Professor Rolf Kuhn, Direktor des Bauhauses, einen Brückenschlag zwischen dem Schönen und dem Nützlichen. Das scheint dem darin seit den 20er Jahren traditionell geübten Bauhaus zu DDR-Zeiten nicht besonders gelungen zu sein. Das Haus, Pilgerstätte für Touristenbusse des Billdungsbürgertums, ist heruntergekommen, die gegliederte Fensterfront irgendwann Opfer guten Willens und damit verbundener dilettantischer Streichversuche geworden. Die kleine Ausstellung präsentiert gerade einen kläglichen Restbestand der Bauhaus-Geschichte. Bleibt die Region Dessau-Wörlitz, vielgepriesene Synthese von Natur und Kultur, eine romantische Flußlandschaft mit fürstlichen Landschaftsgärten und Parks. An der Anlegestelle Kornhaus dümpelt der Ausflugsdampfer „Brunswik“ in der nach den letzten Hochwassern schnell dahinfließenden, gutgefüllten Elbe. An Bord überreicht ein Vertreter der Storchendorfes Rühstedt dem Stifter Michael Otto feierlich einen gläsernen Bierseidel und erinnert dabei an den gemeinsamen Umtrunk vor Ort. In den Krug ist der Wasserturm, das Wahrzeichen von Rühstedt, eingeritzt. „Das Bier war“, erinnert sich Otto verlegen leutselig, „sehr gut.“ Wasser ist eben Leben. Der Versandhaus-Unternehmer hatte vorher die Solidität wirtschaftlicher Planung beschworen, die in der gesamtgesellschaftlichen Kosten- Nutzen-Rechnung nur sinnvoll, wenn umweltverträglich sei: „Das Schlimmste, was wir tun können, wäre die Dinge treiben zu lassen.“

Währenddessen erschließt sich den in einem Boot Sitzenden die Schönheit der landschaftlichen Verbindung von Kultur und Natur nicht so recht. Die Elbufer ziehen vorüber, zwischen dem Grün der Eichen und Pappeln schimmert das Menschenwerk beileibe nicht harmonisch durch, sondern trägt vom Kiesabbau bis zu martialisch verfallenden Industriebauten eher aufdringlich auf. Der Bootsmann wird nur einmal zum Fremdenführer. Die Werft am Ufer ist geschlossen. „Hier“, sagt er mit Wehmut in der Stimme, „wurden die wunderschönen Schiffe gebaut, die Sie vielleicht von Ihrem Urlaub auf der Donau kennen.“ Währenddessen fühlen sich die Schiffseigner, nicht zu Unrecht, verkannt. Die Auftragslage ist schlecht. Sie wollen eigentlich ihre, dem Straßenverkehr gegenüber unbestritten umweltfreundlichere Transportmethode durch den Gesetzgeber abgesichert wissen. – Was aber kann nun so eine Tagung? Ministerpräsident Bergner hatte sich am Morgen kompromißfähig bedeckt nach allen Seiten gehalten: „Ein unbedingter Fortschrittsglaube ist ebenso unangebracht wie ein Zurück zur Natur – koste es, was es wolle.“ Die niedersächsische Umweltministerin Monika Griefahn appellierte an den gesunden Menschenverstand und für umweltfreundliche Schiffe. Ihr Kollege Matthias Platzeck aus Brandenburg warnte mit dem Eifer des ehemaligen Bürgerrechtlers davor, wieder einmal Gruppeninteressen nachzugeben und „im blinden Glauben an die Wirtschaft ins Verderben zu rennen“. Daß seine Kompetenzen demnächst von der regierenden Sozialdemokratie beschnitten werden sollen, kursierte vorerst nur als Gerücht.

Daß der Bau neuer Staustufen,von Bürgerinitiativen und Naturschutzverbänden heftig bekämpft, mittlerweile endgültig vom Tisch ist, auch oberhalb von Magdeburg, schien Konsens. Achim Pohlmann von der Wasser- und Schiffahrtsdirektion Ost versicherte das immer wieder. Er war der beamtete Vertreter der Schiffahrt in der Diskutantenrunde und hatte einen schweren Stand, den er sich selbst nicht leichter machte, als er technokratisch „die Erhöhung der Leistungsfähigkeit“ der Elbe einklagte, deren Vertiefung er eine „Nachregelung“ nannte. Das zog den geballten Unmut der Umwelt- und Naturschützer auf sich. Die sagten von sich, sie seien auch klüger geworden, seien ihrerseits kompromißbereit und jenseits der Idealzustände für das Machbare zu haben.

Jochen Flasbarth vertrat die neue Linie für den Naturschutzbund Deutschland (NABU) und machte die Rechnung auf, daß sich Naturschutz langfristig volkswirtschaftlich auszahlt. Daß er sich mit dem Signalisieren von Kompromißbereitschaft dem Zorn der eigenen Basis aussetzte, nahm er gelassen. Die demonstrierte vor der Tür und empfing Bergner mit einem Transparent, daß ein weiteres der vielen Konfliktfelder in Sachsen-Anhalt benannte: „Wer die Saale staut, staut auch die Elbe.“

Das Harmoniestreben im Bauhaus erfuhr zum Ende einen herben Schlag. Die Zusammenfassung der Ergebnisse der Veranstaltung war zwei unabhängigen Beobachtern überlassen worden. Das hätte ganz gut gehen können, wäre der eine nicht der Wort- und Gedankenschleuderer Professor Bazon Brock gewesen. Er sorgte für ein versammeltes Aufheulen der Beamtenschaft aus den Schiffahrtsämtern und ihrer Lobby, als er ein Kurzreferat hielt über den Berufsstand an sich, der schließlich nicht als Erfüllungsgehilfe der Herren, sondern gerade als Schutz des Ausführenden gegen Regentenwillkür entstanden sei. Da hatte es Jungunternehmer und Verleger Florian Langenscheidt schwer, die Wogen im Saal mit einem Gedicht wieder zu glätten. So blieb kontrovers, ob die Interessen der Schiffahrt an der der schiffsgängigen Vertiefung der Elbe oder die der Naturschützer, die das nicht wollen, im Spannungsfeld von Wirtschaft und Politik der vier anliegenden Bundesländer obsiegen werden. Daß die Ausbaggerung der Elbe „Unsinn“ sei, merkte ein Experte am Rande an, der den Laien erläuterte, daß sich der Fluß, seit er nicht mehr so sehr mit Ablagerungen aus Tschechien belastet ist, sein Bett von selber wieder tiefer gräbt. Das aber wird, wenn dadurch der Grundwasserspiegel sinkt, ganz andere Probleme – nicht nur für die Schiffahrt – mit sich bringen. Mißtrauische wiesen, jenseits aller Diskussion und Meinungsbildung, darauf hin, daß erste Bauarbeiten schon begonnen haben, zum Beispiel die Betonierung der Buhnen. Auch hier gilt, was dem een sin Uhl, is dem annern sin Nachtigall. Auf den künstlich entstandenen Sandbänken nistet eben der Regenpfeifer. Achim Pohlmann deklarierte dies nicht als Ausbau, sondern als unumgängliche Erhaltungsmaßnahme.

Rainer Lucas vom Institut für ökologische Wirtschaftsforschung trug aus einem für die Stiftung erstellten, noch nicht veröffentlichten Gutachten vor. Er warnte vor einer „vorschnellen Versöhnung von Ökologie und Ökonomie“ und forderte auch für den „sanften Tourismus“ an der Elbe Konzepte der Schadensbegrenzung.