Weg mit dem Muff von 300 Jahren

Heute tritt in Kapstadt das neue südafrikanische Parlament zusammen und setzt der weißen Ära ein Ende / Doch die Westkap-Provinz bleibt ein weißer Vorposten im neuen Südafrika  ■ Aus Kapstadt Willi Germund

Hammerschläge dröhnen durch das weiß gestrichene Gebäude. Handwerker eilen durch die getäfelten Gänge. Geschäftigt eilen sie an dem riesigen Gemälde am Seiteneingang vorbei: Frederik W. de Klerk, Südafrikas letzter weißer Präsident, damals noch Minister, sitzt an einem langen Tisch im Kreis seiner Kollegen, den Blick fest auf Regierungschef Pieter Willem Botha gerichtet.

Ergraute Kellner in grauen Uniformen schlurfen wie eh und je durch die Wandelhallen des Parlamentsgebäudes im Zentrum von Kapstadt. Im Restaurant steht noch der alte Sessel, auf dem Parlamentskorrespondent Toss Wenzel seit 30 Jahren täglich sein zweistündiges Mittagsschläfchen hält. Aber Peter Schuin, seit vier Jahrzehnten als Parlamentsdiener dabei, steht etwas verwirrt inmitten des Durcheinanders der Renovierungsarbeiten. Die unübersehbaren Vorboten der Veränderung machen ihn nervös. Am heutigen Montag tritt in dem altehrwürdigen Gebäude zum ersten Mal die neue 400köpfige Nationalversammlung aus Mitgliedern aller Rassen zusammen. 254 Abgeordnete stellt alleine der ANC.

Peter Schuin ist ein Bure von altem Schrot und Korn. Weiß, rechtschaffen und in seiner schlichten Art so offen und ehrlich, daß er fast naiv klingt. Er kann sich noch erinnern, wie Premierminister Vorster eigens eine zusätzliche Tür zum Plenarsaal einbauen ließ. Der Grund: Malawis Staatspräsident Banda wurde als erstem Schwarzen erlaubt, den Raum zu betreten, er sollte aber nicht den für Weiße reservierten Eingang benutzen.

„Wie das alles weitergehen soll?“ murmelt Schuin etwas unsicher. „Ich kann nicht einmal die Namen von vielen der neuen Abgeordneten aussprechen.“ Gedankenverloren streicht er im Parlamentssaal über einen grünen Ledersessel. „Hier stand ich damals. Ich werde das nie vergessen, es war der schlimmste Augenblick meines Lebens.“ Am 6. September 1966 ermordete der Grieche Dimitri Tsafendas den Premierminister Hendrik Verwoerd im Parlament. Schuin war Augenzeuge.

„Oh, haben wir damals gefeiert“, erinnert sich der 68jährige Mustafa Mohammed in dem Viertel Bo Kaap gleich neben der Innenstadt von Kapstadt an diesen Tag. In dem malerischen Viertel leben fast ausschließlich Südafrikaner mit malaiischen Wurzeln. Niemand in Bo Kaap versteht, wieso sie dem Schicksal der Deportation entgingen. Aber geblieben ist eine unbestimmte Furcht.

Früher galten Weiße als Vorboten der Zwangsumsiedlung. Heute handelt es sich meistens um Makler und Yuppies, die die Häuser billig aufkaufen, aufmöbeln und dann weiterverkaufen oder einziehen. Geht es nach dem ehemaligen Polizeiminister Hernus Kriel, könnte dieser Trend sogar noch stärker werden. „Wir haben die Arbeitskräfte, wir haben die Möglichkeiten und wir wollen unsere Provinz zur Attraktion für Investitionen machen“, sagt Kriel, zukünftiger Ministerpräsident der Westkap-Provinz und damit der einzige Provinzführer, den die bisher regierende Nationale Partei in Südafrika stellt.

1652 startete hier Südafrikas Eroberung durch die Weißen. Jetzt ist Kapstadt wieder Außenposten unter weißer Führung. Und Kriel hofft unverblümt darauf, daß seine Provinzregierung noch mehr Weiße als bisher anlocken wird.

„Das ist Demokratie“, mußte Nelson Mandela seine Anhänger in der Provinz trösten, als die Niederlage bekannt wurde. ANC- Funktionär Toni Yengeni in Kapstadt kann noch nicht völlig verwinden, daß „ganz Südafrika befreit wurde, nur wir nicht“. Hernus Kriel schaffte dies mit einem Wahlkampf, in dem er vor der svart gevaar – der „schwarzen Gefahr“ – warnte. Die „Coloureds“, die Mischlinge am Kap, ließen sich überzeugen.

In Tafelsig am Rand der Coloured-Township „Mitchell's Plain“ zittern jetzt einige Bewohner in ihren einfachen Häusern aus Fertigbeton. Letztes Jahr besetzte hier eine Gruppe von Schwarzen leerstehende Häuser für Coloureds. Jetzt, nach dem NP-Sieg, könnte es neue Besetzungen geben. Ein paar hundert Meter entfernt stehen schon Hunderte von Holzhütten auf dem nackten Sandboden – Behausungen von Schwarzen, für die in ganz Südafrika während der vergangenen zehn Jahre keine Häuser gebaut wurden.

Die Lösung des Wohnungsproblems ist eines der drängendsten Aufgaben der neuen südafrikanischen Regierung. Jay Naidoo, Ex- Boß des Gewerkschaftsverbandes Cosatu, soll als Minister ohne Portefeuille die Umsetzung des ANC- Entwicklungsprogramms „Reconstruction and Development Program“ (RDP) koordinieren. Mit 39 Milliarden Rand (20 Milliarden Mark) will der ANC während der nächsten zehn Jahre den Bau von einer Million Häusern, die Schaffung von 2,5 Millionen Jobs und die Elektrifizierung von 2,5 Millionen Häusern durchführen.

„Der Plan ist eher zu anspruchsvoll“, warnt John Drake, Chef der südafrikanischen Niederlassung des Ölmultis Shell. Aus seinem Büro im 25. Stock des Hauptquartiers geht der Blick über den Hafen von Kapstadt. „Die Haltung des Privatunternehmertums gegenüber dem ANC hat sich grundsätzlich geändert“, sagt Drake, „statt Skepsis herrscht vorsichtige Zuversicht.“ Punkte wie Verstaatlichung seien in den Hintergrund getreten. Drake rechnet nicht einmal damit, daß es ernsthafte Versuche geben wird, Südafrikas Wirtschaft mittels Anti-Trust-Gesetzen zu entflechten. Die größte Gefahr sieht der Öl-Manager im Populismus: „Wenn der ANC versuchen würde, so schnell wie möglich mit möglichst viel Geld die Hoffnungen der Leute zu befriedigen, dann wären wir alarmiert.“

Doch noch herrscht im Shell- Haus Zuversicht. Zumal Mandela der Wirtschaft Beruhigungspillen verabreichte: Derek Keys, schon unter dem letzten weißen Präsidenten Frederik W. de Klerk Finanzminister, wird bleiben. Auch Zentralbankchef Chris Stals soll sein Amt behalten.

Für den glatzköpfigen jungen Mann, der am Samstag abend in die Bar eines Fünf-Sterne-Hotels in Kapstadt marschierte, freilich war etwas anderes wichtig. Im weißen T-Shirt mit der neuen südafrikanischen Fahne auf der Brust drängte sich der Schwarze zwischen eine Gruppe von weißen Geschäftsleuten und verlangte lauthals ein Bier. „Mal sehen, ob ich jetzt hier was zu trinken kriege!“ verkündete er den Thekenstehern und erzählte gleich hinterher, daß er vor fünf Jahren an gleicher Stelle hinausgeworfen worden sei. Diesmal erhielt der Mann sein Bier. „Prost, auf das neue Südafrika!“ rief er. Die Geschäftsleute setzten ihre Gläser nur zögernd an.