Teure Löcher für den ICE

Fünf Milliarden Mark für 80 Kilometer: Der Bundesrechnungshof kritisiert die geplante Schnellbahnstrecke von Nürnberg nach München  ■ Von Klaus Wittmann

München/Bonn (taz) – Der ICE ist ein beeindruckender Zug. Aber sein Tempo macht Bahntrassen erforderlich, die Milliarden verschlingen und sich rücksichtslos durch die Landschaft fressen. Brücken und Tunnels müssen gebaut werden, wie es sie seit der Erfindung der Eisenbahn noch nicht gegeben hat. Der deutsche Wunderzug ist nun einmal für die schnelle Geradeausfahrt gebaut, nicht für Kurven. Dumm nur, daß es im dichtbesiedelten Deutschland fast nur Kurven gibt.

Eine der ICE-Trassen, von München über Ingolstadt nach Nürnberg, hat zahllose Bürger und Naturschützer auf den Plan gerufen. Der Bund Naturschutz in Bayern (BN) will sich mit allen Mitteln wehren. Notfalls werde man vors Bundesverwaltungsgericht ziehen, droht der Landesbeauftragte, Hubert Weiger. Denn mögliche Alternativen seien nicht genügend berücksichtigt worden.

Ein bayrisches Ministerium verlangt einen Tunnel

Auf dem 80 Kilometer langen Teilstück zwischen Ingolstadt und Nürnberg wären 31 Kilometer Tunnel erforderlich. Kein Wunder, daß die Kosten explodieren. 2,4 Milliarden Mark wurden veranschlagt, als man 1989 die Trasse plante. Selbst im bayerischen Umweltministerium wurden Bedenken laut – nicht wegen der Kosten, sondern wegen der dramatischen Landschaftszerstörung. Die landesplanerische Beurteilung kam 1991 zu dem Schluß, daß der beantragte Trassenverlauf nur unter „Berücksichtigung einer Vielzahl von Maßnahmen mit den Erfordernissen der Raumordnung und Landesplanung“ vereinbar sei.

Um das Durchschneiden eines großen zusammenhängenden Waldgebietes, des Köschinger Forstes nördlich von Ingolstadt, zu verhindern, wurde verlangt, die Trasse auf einer Länge von vier Kilometern unterirdisch zu führen. Das Bayerische Landesamt für Umweltschutz stellte schon im März 1990 zur Ingolstadt-Trasse fest: „Bei Verwirklichung dieser Planung ist mit nachhaltigen und schwerwiegenden Eingriffen in Natur und Landschaft zu rechnen. Insgesamt bestehen daher erhebliche Bedenken gegen die Variante Ingolstadt. Die Variante sollte aus naturschutzfachlicher Sicht nicht weiterverfolgt werden.“

Eine Auffassung, die auch Umweltschützer und die Bürgeraktion „Das Bessere Bahnkonzept“ immer konsequent vertraten. Aber das kümmerte die Planer wenig. Im Gegenteil. Selbst die für die Genehmigung unabdingbare Zusage, den Köschinger Forst zu untertunneln, soll von der Bahn-AG unterlaufen werden. Verwunderlich ist das nicht, wenn man weiß, was der Bundesrechnungshof weiß: Selbst die gigantischen Kosten von 2,4 Milliarden Mark für die geplanten 80 Kilometer sind zu niedrig kalkuliert. „Der Bundesrechnungshof kommt in seiner Stellungnahme zu dem Ergebnis, daß sich die Bahn und die politisch Verantwortlichen bei der Entscheidung für die Neubautrasse Ingolstadt–Nürnberg nicht für die wirtschaftlichste Variante entschieden haben“, erklärt der Eichstätter Kreisrat Albert Schmidt.

Tatsächlich haben die Rechnungsprüfer am 7. Februar erneut die Bonner Ministerien für Verkehr und Finanzen angeschrieben und, wie schon im Juli 1992, auf die erheblichen Kostenüberschreitungen hingewiesen. Mehr als das Doppelte, nämlich 5,1 Milliarden Mark, werde aller Voraussicht nach die Trasse kosten, behaupten die Abgeordneten Christian Magerl und Raimund Kamm (Bündnis90/Die Grünen) aufgrund ihnen vorliegender Unterlagen. Wieder einmal sei nach dem Motto gehandelt worden: Zunächst illusorisch niedrige Kosten ansetzen, die sich nie und nimmer halten lassen, und dann – wenn es kein Zurück mehr gibt – kräftig nachlegen.

Stocksauer sind auch die Mitglieder des Besseren Bahnkonzepts und des Bund Naturschutz. Sie hatten sie sich aufgeschlossen gezeigt und deutlich gemacht, daß sie keineswegs gegen einen Ausbau von Schienenstrecken sind. Aber was hier getrickst werde, überbiete jede bislang bekannte Mauschelei. Besonders empört es die Kritiker, daß es weit günstigere und auch noch schnellere Alternativen gibt, die von Bahn-AG, Finanz- und Verkehrsministerium ignoriert würden.

Ein Sprecher des Bundesrechnungshofes bestätigte, daß die Trassenführung wegen erheblicher Kostenüberschreitungen derzeit überprüft wird. Die genannten Zahlen, also die 5,1 Milliarden Mark, wollte er jedoch nicht bestätigen. Noch handle es sich um ein laufendes Prüfungsverfahren, zu dem keine Stellungnahme abgegeben werde. Im Verkehrsministerium ist ebenfalls zu den Zahlen keine konkrete Auskunft zu bekommen. Sprecher Franz-Josef Schneiders erklärte, das Rechnungshof-Gutachten liege im Hause noch nicht vor, man kenne seine Datenbasis nicht, gehe aber nach wie vor davon aus, daß die Trasse wirtschaftlich sei. Schließlich habe der Bundestag im Rahmen der Verabschiedung des Schienenwegeausbaugesetzes bereits zugestimmt.

Schneiders räumt aber ein, daß die vom Verkehrsministerium zur Zeit gehandelte Zahl von etwa drei Milliarden Mark auf der Kalkulation 1991 basiere und noch nicht auf die aktuelle Kostenbasis 1994 hochgerechnet wurde. Im Finanzministerium heißt es auch nur, daß derzeit noch geprüft werde.

Die Deutsche Bahn AG schreitet ungerührt zur Tat. Sie hat für den 15. Juli, 10 Uhr, zum ersten Spatenstich in den Nürnberger Stadtteil Altenfurt eingeladen. Unabhängig von den laufenden Prüfungen haben sowohl der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber als auch Verkehrsminister Wissmann und andere Politikgrößen bereits ihr Kommen zu der Feierstunde zugesagt.

Die Bahn könnte schon jetzt schneller sein

Die Trassen-Gegner wissen allerdings auch, daß ihre Alternativvorschläge alles andere als einfach sind. Vielleicht taten sie sich deshalb schwer, sie ernsthaft ins Gespräch zu bringen. Unterstützt vom Münchner Planungsbüro Vieregg & Rössler, weisen die Kritiker erneut auf drei wesentliche Punkte hin, die die Landschaft schonen und die Bahnverbindungen trotzdem verbessern würden:

– Ein maßvoller Ausbau der vorhandenen Strecke durch sogenannte Linienverbesserer (zum Beispiel Kurvenbegradigungen). Bei Investitionen von 2,2 Milliarden Mark ließe sich die Fahrzeit von München nach Nürnberg um mindestens 18 Minuten verkürzen.

– Für einen Teil der zwischen München und Hamburg verkehrenden ICE sollte die bereits jetzt als Abkürzung genutzte Route über Treuchtlingen – Ansbach – Würzburg verstärkt gefahren werden. Die Reisezeit von München nach Hamburg wäre schon beim heutigen Ausbauzustand um 27 Minuten zu verkürzen.

– Durch den Einsatz moderner Neige-Züge mit höherer Kurvengeschwindigkeit könnte die Fahrtzeit zusätzlich verkürzt werden. Sofern man nicht auf den italienischen „Pendelino“ oder den schwedischen „X-2000“ zurückgreifen möchte, sollte die Neigetechnik in die neu zu beschaffenden ICE eingebaut werden. „Für die verbleibenden knapp drei Milliarden Mark könnte man eine ganze Menge wichtiger anderer Bahnbaumaßnahmen durchführen“, sagt der Abgeordnete Magerl. Auch der Bund Naturschutz beharrt darauf, daß nicht nur einzelne Hochgeschwindigkeitstrassen ausgebaut werden dürften, während der umweltschonende Ausbau des Regionalverkehrs sträflich vernachlässigt werde.

Schützenhilfe von der Europäischen Union

Doch die Trassengegner mußten erfahren, daß auch die Europäische Union ihre Bemühungen unterläuft. Der Beschluß, mit hohen Zuschüssen den ICE-Streckenausbau zu unterstützen, wird von ihnen als ausgesprochen kontraproduktiv gewertet. Nicht nur der Bundesrechnungshof werde ausgehebelt, sondern das demokratische System schlechthin. Es könne doch nicht angehen, durch EU-Zuschüsse eine völlig unvertretbare Trassenführung auf dem Papier billig zu machen.

Dabei ist der Streckenabschnitt Ingolstadt– Nürnberg ja nur einer von vielen. Erst dieser Tage begann die Anhörung für den weiteren Streckenverlauf von Nürnberg nach Erfurt, der nicht minder umstritten ist.