Zwei Hunde, die an einem Knochen nagen

Kompetenzgerangel und der Schrei nach neuen Instrumenten: Ob Verfassungsschutz, BND oder Polizei– alle wollen sie plötzlich auch die Organisierte Kriminalität bekämpfen  ■ Aus Berlin Wolfgang Gast

Der Mann hat seine Hausaufgaben gemacht, er hat seinen Auftritt gut vorbereitet. Dem Auditorium hämmert er ein: Noch mal ein „Auschwitz in the sands“? Nein, das darf es einfach nicht mehr geben! Ob die Damen und Herren etwa schon vergessen hätten, was damals los war, als bekannt wurde, daß das schwäbische Unternehmen Imhausen-Hippenstiel beim Bau der Giftküche im libyschen Rabta mitmischte? „Auschwitz in the sands“ – das ist für Rainer Kesselring, den ersten Direktor und Abteilungsleiter beim Bundsnachrichtendienst (BND), mehr als das von US-Medien geprägte Synonym für das außenpolitische Versagen der Bundesrepublik. Es ist für ihn auch der Inbegriff für das Scheitern des eigenen Dienstes. Schuld daran tragen aber andere: allen voran der Gesetzgeber, weil der dem BND untersagt hat, „zufällig“ erlauschte Erkenntnisse aus dem Fernmeldeverkehr von der und in die BRD verwenden zu dürfen. Höchste Zeit also, daß das geändert wird.

CSU-Mann Kesselring ist einer der ranghohen Experten, die Mitte April auf Einladung der Friedrich- Ebert-Stiftung in Berlin über das Thema „Nachrichtendienste, Polizei und Verbrechensbekämpfung im demokratischen Rechtsstaat“ stritten. Konkurrenz belebt das Geschäft, möchte man meinen, folgt man den Referaten, mit denen die Vertreter der Sicherheitsbehörden aufwarten. Außer Kesselring ist da unter anderem der Chef des Kölner Verfassungsschutzes, Eckart Werthebach, und der Abgesandte des BKA, Leopold Schuster. Alle drei wollen bei der Bekämpfung der „Organisierten Kriminalität“ mitmischen, alle drei fordern die Erlaubnis, im sogenannten legalen „Vorfeld“ der Verbrecherbanden beobachtend tätig werden zu dürfen.

Ziemlich genau vierzig Jahre ist es her, daß die Alliierten im Nachkriegsdeutschland wegen der schlimmen Erfahrungen mit Hitlers Geheimer Staatspolizei (Gestapo) den sogenannten „Polizeibrief“ verfaßten, mit dem eine strikte Trennung der Arbeit der Polizeibehörden von der der Geheimdienste verfügt wurde. Heute sind es vor allem die Geheimdienste, die an diesem „Trennungsgebot“ genannten Grundsatz rütteln.

Das weitaus größte Geschick legt dabei der oberste Verfassungsschützer aus Köln an den Tag. Werthebach reklamiert: „Verfassungsrang hat das Trennungsgebot nicht.“ Der Gesetzgeber könne es daher im Wege eines einfachen Gesetzes aufheben – aber, so die trickreiche Argumentation, das brauche es gar nicht. Der Verfassungsschutz, das war zumindest bisher Konsens unter den Sicherheitspolitikern, ist eigentlich nur für Bestrebungen zuständig, die gegen den verfassungsrechtlichen Staat gerichtet sind. Folgt man nun Werthebach, dann fällt heute schon die Bekämpfung der Organisierten Kriminalität darunter. Seine Konstruktion: Das geschäftsmäßig organisierte Verbrechen „gefährdet die freiheitlich demokratische Grundordnung, vor allem die im Grundgesetz verankerten Menschenrechte“. Und weil die Korruption zum Standardrepertoire der Mafia und artverwandter krimineller Gruppen zählt, wird dadurch auch „die Bindung der Exekutive an Recht und Gesetz“ bedroht. Ergo steht die „Innere Sicherheit“ auf dem Spiel – ein Fall für den Verfassungsschutz also. So einfach geht das.

Seine Behörde ist bestens gerüstet, argumentiert Werthebach, sie ist „aus dem Stand heraus in der Lage, das Vorfeld solcher Formen der Organisierten Kriminalität zu beobachten“. Wenn der Gesetzgeber nur wollte. Und wie der seinen WählerInnen die Aufhebung des Trennungsgebotes verkaufen könnte – „wahlwirksam ausgesprochen, sollte das Motto der erfolgreichen Bekämpfung der Organisierten Kriminalität lauten: Nicht Verfassungsschutz oder Polizei, sondern Verfassungsschutz und Polizei bei Wahrung ihrer Eigenständigkeit.“ Noch kann der Chef der Kölner Nachrichtendienstler seine Kollegen bei der Polizei aber nicht überzeugen.

Für den Abteilungsleiter im Bundeskriminalamt, Leopold Schuster, ist der Drang der Geheimdienstler ins kriminelle Milieu leicht erklärlich. Nach dem Fall der Mauer vor vier Jahren hätten diese schlicht „in Ermangelung traditioneller Aufgaben neue Felder gesucht und gefunden“. Für den Fall, daß die von Koalition und SPD vorgelegten Gesetzentwürfe umgesetzt werden, sagt er eine zunehmende Konkurrenz unter den Behörden und ein schwieriges Kompetenzgerangel voraus. Polizei und Geheimdienste würden dann „wie zwei Hunde an einem Knochen nagen“.

Schuster, der seinerseits für neue Kompetenzen des BKA bei der Vorfeldermittlung bei Organisierter Kriminalität streitet, will von einer arbeitsteiligen Zusammenarbeit, wie sie Werthebach oder Kesselring vorschwebt, nichts wissen: zum einen, weil „der Mythos des Quellenschutzes“ eine Verwertung der Informationen vor den Gerichten nicht zuläßt. Zum anderen, weil diese Form der Informationsgewinnung unter „Oportunitätsgesichtspunkten“ auf die Arbeit der Polizei und Gerichte durchschlagen muß.

Unterstützung findet Schusters Kritik beim stellvertretenden Leiter des Bremer Verfassungsschusses. Lothar Jachmann, früherer Vorsitzender der in der ÖTV organisierten Verfassungsschützer, weiß aus langjähriger Praxis, daß die „Prognosefähigkeit“ des Verfassungsschutzes „objektiv betrachtet selten“ ausreicht, die berechtigten Informationserwartungen der Polizei zu erfüllen. Seit Jahren beobachtet er, wie deshalb die Polizei versucht, „diese ihre Arbeit behindernden Lücken durch eigene Informationssammlungen – auch durch den trennungsgebotswidrigen Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel – zu füllen“. Fliegt das einmal auf, wird es flugs als „Betriebsunfall“ kaschiert – die „nachrichtendienstliche Quelle“ muß dann der Verfassungsschutz übernehmen.

Die Forderungen nach Gesetzesverschärfungen und Kompetenzerweiterungen haben im Wahljahr 1994 Konjunktur. Alternative Ansätze zur Kriminalitätsbekämpfung bleiben dabei auf der Strecke, ebenso der Datenschutz. Korruption, so der hessische Datenschutzbeauftragte Winfried Hassemer, läßt sich beispielsweise durch erhöhte Mobilität und größere Transparenz in den Beamtenapparaten bekämpfen. Denkbar wäre auch, Kommissionen einzurichten, die quer durch die Behörden die strukturellen Ansätze für eine Einflußnahme von außen offenlegen. Daß die Sammelwut der Sicherheitsbehörden sich gesetzlich eindämmen läßt, sollte der Damm „Trennungsgebot“ erst einmal eingerissen werden, glauben weder Hassemer noch der Rechtswissenschaftler Christion Pfeiffer, Professor an der Uni Hannover. Zu oft heiße es sinngemäß in den gesetzlichen Ausführungsbestimmungen: „Osterhase ist im Sinne des Gesetzes auch der Weihnachtsmann.“