Von der „Plattenburg“ zum Rittergut

Eine Gruppe Obdachloser soll ihre „Plattenburg“ am Rande von Frohnau räumen / Ihr Wunsch: Sie wollen sich auf dem nahe gelegenen Rittergut in Stolpe-Dorf eine eigene Existenz aufbauen  ■ Von Dorothee Winden

„Wir sind keine Aussteiger, wir sind Einsteiger“, sagt Frank Kußmaul selbstbewußt. „Wir sind obdachlos, aber wir haben alle einen Beruf, und wir wollen uns etwas aufbauen.“

Seit dem 3. Mai '94 hat sich die zwölfköpfige Gruppe Obdachloser in der „Plattenburg“ am Stadtrand von Frohnau häuslich eingerichtet. Vier verblichene rosafarbene DDR-Bauwagen, zwei Wohnwagen und eine Miettoilette stehen auf der grünen Wiese am Bahndamm. Im Hintergrund rattert ein Dieselaggregat, mit dem die vier Kühlschränke, der Kassettenrecorder und die Kaffeemaschine betrieben werden.

In der Mitte stehen zwei Sofas in der Sonne, doch jetzt sitzen die Männer und Frauen im Schatten eines Zeltdaches um einen Tisch versammelt. Wenn nicht zwei Berliner Polizisten auf dem Platz herumstünden, könnte man sich inmitten der bunten Luftballons, Lampions und Girlanden auf einem Gartenfest wähnen.

Die beiden Polizisten warten auf ihren Chef. Um acht Uhr am Montag morgen ist das Ultimatum des Landratsamtes Oberhavel ausgelaufen. Die Behörde hatte die BewohnerInnen der Plattenburg am Freitag aufgefordert, das Gelände auf dem ehemaligen Mauerstreifen zu verlassen, und mit der Räumung gedroht. Dann müßten die Obdachlosen auch für die Kosten der Räumung in Höhe von 8.000 Mark aufkommen, hieß es in dem Schreiben. Da die Wagen in einem „einstweilig geschützten Landschaftsschutzgebiet“ stehen, drohte die Behörde noch mit einem Bußgeld von 20.000 Mark. Über das Wochenende einen anderen Platz zu finden sei jedoch unmöglich gewesen, sagt Frank.

„Ihr müßt auf Öko machen“, sagt der mittlerweile eingetroffene Chef der beiden Berliner Polizeibeamten, Hans-Joachim Tröster, mit Blick auf das Dieselaggregat. Schließlich sei das ein Landschaftsschutzgebiet. „Wir sind doch keine Hilfsgrünen“, heißt es aus der Runde. Den Strom brauche man unbedingt. Der Ton ist locker, die Beamten sind von umwerfender Freundlichkeit. Tröster wird sofort eine Stelle als Kontaktbereichsbeamter für die „Plattenburg“ angeboten. Der Polizist verspricht, abends mal „auf einen harten Drink vorbeizuschauen“, und wird von Hans sogleich belehrt: „Hier gibt's keine harten Drinks, hier gibt's nur Bier.“

Zuständig sind die Berliner Beamten nicht, doch da nahen schon die beiden Vertreter des Landratsamtes. Widerstrebend lassen sie sich unter dem Zeltdach nieder, umringt von BewohnerInnen, Polizisten und Presse. „Sie müssen etwas finden, wo campieren zugelassen ist“, sagt der Leiter des Ordnungsamtes, Herr von Saldern. „Wir wollen aber gar nicht campieren“, ruft jemand dazwischen. „Wir können sofort umziehen, wenn's geht, heute noch, wir wissen nur nicht wohin“, erläutert Frank. „Wir suchen Raum, wo wir leben und arbeiten können“, sagt Hans, und Frank trägt die Idee der Gruppe vor: Das Rittergut im nahe gelegenen Stolpe-Dorf möchte die Gruppe gerne instand setzen. Ein Investor sei bislang noch nicht gefunden, und der Bürgermeister suche händeringend einen Pächter. „Wir haben Maurer und Tischler unter uns. Und wir können das ohne finanzielle Hilfe des Staates schaffen“, betont Frank. Die Gruppe sei bereit, ihre Arbeitskraft und die Einnahmen aus dem Verkauf ihrer Obdachlosenzeitung Die Platte in das Projekt zu stecken.

Frank bittet den Ordnungsamtsleiter, mit der Gruppe zum Bürgermeister zu gehen, um über den Pachtvertrag zu verhandeln. „Ersatz zu finden ist nicht meine Aufgabe“, antwortet dieser lapidar. Eine Weile reden Behördenvertreter und Obdachlose aneinander vorbei, bis sich einer der Berliner Polizeibeamten einschaltet: „Na, warum helfen Sie denn nicht als Vermittler, wie Herr Kußmaul das vorgeschlagen hat. Das wäre doch nur menschlich“, sagt er zu von Saldern. „Die zweite Frage ist, wie lange gewähren Sie den Leuten hier Aufschub?“ Das müsse er erst mit seiner Behörde besprechen, sagt der Ordnungsamtsleiter und zieht mit seinem Kollegen von dannen.

Bis zum späten Nachmittag sah sich das Landratsamt Oberhavel allerdings nicht in der Lage, ein Ergebnis der Beratungen mitzuteilen. Die „Plattenburg“-Bewohner wollten am Nachmittag noch den Fußmarsch nach Stolpe-Dorf antreten und mit dem Bürgermeister über ihr Vorhaben sprechen.