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Reise unter den Tiergarten

■ Bausenator Wolfgang Nagel gibt Startschuß für Straßen- und Fernbahntunnel

Bausenator Wolfgang Nagel liebt es, sich und seine Mitarbeiter in Aktion zu zeigen. Pressekonferenzen mit Baggerführern und Brückenbauern sind keine Seltenheit. Gestern nun durfte sich der Taucher Mau in das Buch der Geschichte(n) eintragen, hatte er doch seinen Auftritt im Beisein des Bausenators. Mit einem rosaroten Taucheranzug bekleidet, mit Luftflaschen, Taschenlampe und Rettungskabel bewaffnet, stieg Mau zum symbolischen „Startschuß“ der geplanten Tunnelbauten im Tiergarten in eine „Pilotbaugrube“. In zehn bis zwölf Meter Tiefe verschwand der Taucher in den Fluten des Grundwassers nahe dem Reichstag und ward erst einmal nicht mehr gesehen.

Die in einen einstigen U-Bahn- Schacht gegrabene Pilotbaugrube dient der Untersuchung zur Entfernung unterirdischer Verkehrsbauten, Bunkeranlagen und Betonbecken aus der Nazizeit, sagte Nagel. Der Tiergarten in Höhe des Reichstags sei von einem Netz unterirdischer Röhren durchzogen, die aus der Planung Albert Speers stammten. 1938 hatte Speer im Rahmen der Bauvorhaben für die „Germania-Halle“ (200.000 Zuschauer) am Spreebogen damit begonnen, zwischen Brandenburger Tor und Moltke-Brücke Tunnel- und Erschließungssysteme anzulegen. Anhand von Luftbildern der Alliierten am Ende des Zweiten Weltkriegs und alten Plänen, erinnerte Nagel, konnten diese Baumaßnahmen neben dem Reichstag lokalisiert werden.

Für die geplanten Auto-, Stadtbahn- und Fernbahntunnel sei es notwendig, sagte Nagel, daß die noch im Krieg gesprengten und teilweise mit Wasser gefüllten Anlagen aus dem Weg geräumt werden. Im Bereich der gemeinsamen Baugrube für die neuen Tunnel – in Höhe der Paul-Löbe-Straße vor dem Reichstag – versperrt etwa der 1938 gebaute, 200 Meter lange Bahntunnel auf einer Länge von 72 Metern die Durchfahrt, erläuterte Tunnel-Chef von Bismarck. Der Tunnel in elf Meter Tiefe beginnt nordwestlich des Reichstags und reicht bis zur Moltke-Brücke. Ein anderes Hindernis in der Nähe des Tunnels, der „Spreedurchstich“, liegt auf einer Länge von über hundert Metern quer zu den geplanten Nord-Süd-Trassen.

Für die bis 1998 zu „deckelnden“ Tunnel hat Nagel nun die Planfeststellverfahren eingeleitet. Für das wegen der hohen Kosten und finanziellen Unwägbarkeiten von den Grünen und Umweltverbänden heftig kritisierte Bauvorhaben wurden in einem ersten Schritt 140 Millionen Mark bereitgestellt. Der Straßentunnel wird insgesamt 800 Millionen Mark kosten. Erst nach der Fertigstellung der Verkehrsanlagen kann im Spreebogen das Regierungsviertel gebaut werden.

Übrigens – Taucher Mau tauchte nach einigem Warten aus dem aufgewirbelten und schlammigen Wasser wieder auf. Die Reise in das unterirdische Tunnelsystem war dunkel und kalt, lächelte Mau ins Sonnenlicht. Die Erde und Nagel hatten ihn wieder. Rolf Lautenschläger

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