Rollenspiel auf dem Centre Court

■ Die Leistungsdichte bei den Frauen ist gering, außer Steffi Graf sind einige Spielerinnen schlicht zu dick im Geschäft, um wirklich topfit zu sein

Berlin (taz) – Die Rollenteilung auf dem Centre Court ist klassisch: Die männlichen Racketschwinger sind das starke Geschlecht. Fast das Doppelte läßt sich mit ihnen verdienen. „Am Hamburger Rothenbaum setzten wir zehn Millionen Mark um, hier in Berlin bei den German Open der Frauen zwischen fünf und sechs.“ Keine Sorge, Peter Henke läßt sich den Appetit auf sein Schinkenbrötchen von derlei geschlechtsspezifischer Ungerechtigkeit nicht verderben. Der deutsche Geschäftsführer der Internationalen Marketing Group (IMG) ist Berufsoptimist: „Wir haben 15 Unternehmen für Berlin als Sponsoren gewonnen. Die Anlage des LTC Rot-Weiß ist nahezu ausgebucht.“ Was will Mann mehr? Die Zuschauerresonanz ist nach einem mageren Jahr 1992 (38.800) im Vorjahr wieder um 7.000 nach oben geschnellt, so daß die (Sport)Politiker auf Drängen der Women's Tennis Association (WTA) 20 Millionen Mark locker machen werden, um die Kapazitäten für die kommenden Turniere um nochmals 7.000 zu erweitern.

Doch auch Tennisverkäufer Henke weiß sehr wohl, „der Tennis-Boom ist vorbei“, der Markt sei dabei, sich selbst zu „bereinigen“. Soll heißen, überleben werden nur die Großen, welche für Leistung ihren Preis zu zahlen imstande sind. Daniel Beauvois, Geschäftsführer der Internationalen Sportrechte-Verwertungs-Gesellschaft (ISPR), erkannte bereits vor Monaten: „Tennis verkauft sich nicht mehr so wie vor Jahren.“

Und es unken die Auguren, angesichts einer alle beherrschenden Domina namens Steffi Graf könnte sich das Frauen-Tennis beizeiten zum verstaubten Ladenhüter entwickeln. „Ach woher“, wehrt Eberhard Wensky, Turnierdirektor in Berlin, mit der Fülle seiner ganzen stattlichen Leibeskraft ab. „Sehen Sie“, und seine Hand mit dem Handy in den Fingern schlägt den Bogen über die Anlage, „all diese Leute wollen auch Dominatoren sehen.“ Ganz so, wie sie dereinst Cassius Clay angehimmelt hätten, obwohl jener, nicht nur nach eigener Anschauung, seinerzeit auch der unbestritten Größte gewesen sei.

Zugegeben, es hat sich einiges getan, seit die Damen der Schöpfung den gelben Filzball übers Netz befördern. 1970 hatte die streitbare Billie Jean King zu einem Boykott aufgerufen, als sich in den USA die Veranstalter weigerten, Männlein wie Weiblein gleichermaßen für die Ausübung ihrer schlagkräftigen Profession zu bezahlen.

Heute werden auf der WTA- Tour weltweit mehr als 30 Millionen Dollar Preisgeld ausgeschüttet. In Berlin sind es 750.000 Mark, nächstes Jahr gar 900.000. Aber WTA-Hauptsponsor „Kraft General Food“ ist mitsamt seinen 33 Millionen Dollar Kraftnahrung aus dem Zirkus ausgestiegen. Wer an seiner Statt das Sponsorship übernimmt, steht immer noch in den Sternen.

Der Club an der Hundekehle darf sich rühmen, „acht der 13 besten Tennisspielerinnen der Welt“ (Eberhard Wensky) in die deutsche Hauptstadt gelockt zu haben. Allerdings ist selbst durch die Anwesenheit von Graf, Sanchez, Novotna, Sabatini, Date, Zvereva, Huber, Pierce Spannung nicht unbedingt garantiert. „Stimmt“, sagt Arantxa Sanchez, deren stets frohgemute Pausbacken mit einem Male ernster dreinschauen, „bei den Männern kann auch die Nummer 60 einen Spieler der Top ten schlagen, bei uns nicht.“

Bei den Frauen steht die Siegerin im Prinzip von Turnierbeginn an fest: Eure Tennis-Grafschaft Steffi, die ihre Matches nicht nach ihrem Erfolg, sondern nach der Schnelligkeit, mit der sich dieser einstellt, zu beurteilen beliebt.

In der Regel braucht Stefanie Graf 40 Minuten, um ein Spiel für sich zu entscheiden. Angstgegnerinnen, wie weiland Gabriela Sabatini, kennt sie nicht mehr. Und wenn, wie in Hamburg geschehen, Frau Sanchez Frau Graf zum sechsten Male in beider langjähriger Karriere besiegen darf, wird das in der Szene als außerordentlich belebendes Spannungsmoment betrachtet. So weiß auch die Spanierin, Konkurrenz würde das Geschäft beleben: „Für unseren Sport wäre es nur gut, wenn Monica Seles wiederkäme.“

Defizite gibt es aber auch an anderer Stelle: „Bei den Frauen wackelt alles“, kritisiert Damen-Bundestrainer Klaus Hofsäß mangelnde Zurückhaltung beim Wuchern mit den weiblichen Pfunden. Nehmen wir Lindsay Davenport zum Beispiel: Sie ist 17 und steht kurz vor dem Sprung in die Top ten. Die US-Amerikanerin bringt geschätzte 82 Kilo auf die Waage. Was nicht heißen soll, daß man wie Peter Henke – „es ist von Vorteil, wenn die Mädchen optisch gut aussehen“ – notwendigerweise einen Schönheitswettbewerb als zusätzliche Qualifikationshürde ausloben müßte. Indes, wer so dick drin ist im Geschäft, der signalisiert den Tennis-Konsumenten, daß das Leistungsniveau stark im Fallen begriffen ist.

Bereits 1992 meinte Pavel Slozil, damaliger Graf-Trainer: „Steffi ist die einzige, die mit jedem männlichen Spitzenspieler trainieren kann, ohne mich zu blamieren.“ Und die number one, der Klaus Hofsäß bescheinigt, sie sei der „Prototyp der Spielerin dieses Jahrzehnts“, wundert sich gewaltig, daß „mich noch niemand gefragt hat, was ich fitneßmäßig eigentlich trainiere“. Wir wollen Eberhard Wensky die Freude auf diese Woche und das „beste Sandplatzturnier hinter den vier Grand- Slam-Turnieren“ nicht vermiesen. Aber zu guter Letzt rutscht ihm doch selbst ein Satz über die Lippen, der seine eigene, tapfer vorgetragene womens lib wieder ein wenig ad absurdum führt: „Eine Stadt wie Berlin bräuchte eigentlich ein großes Herren-ATP-Turnier.“ Cornelia Heim