Beschämender Gehorsamsakt

■ Die deutschen Medien und die Berichterstattung über die kurdischen Proteste im März

Die Zeitung von gestern kann auch morgen noch auf bösartige Weise aktuell sein. Zum Beispiel für Hunderte von KurdInnen, die heute auf die Abschiebung in ein Land warten, das ihnen verspricht, nicht zu foltern oder zu töten. Unter ihnen muß das Medienecho auf die Protestaktionen vom 22. März blankes Entsetzen ausgelöst haben. Mit seltener Einmütigkeit und Blindheit verurteilten die deutschen Zeitungen das Vorgehen der Kurden als „Terror“. In blattübergreifendem Konsens wurden Autobahnblockaden und Selbstverbrennungen als gemeingefährliche Angriffe auf die deutsche Sicherheit gewertet. Wenn „Ausländer“ deutsche Straßen lahmlegen, dann ist das eine Attacke aufs Allerheiligste. Und Selbstverbrennungen werden als ähnlich abscheulich dargestellt wie die Verbrennung von anderen.

So schrieb das inzwischen schon mehrfach durch ausländerfeindliche Berichte aufgefallene Magazin Focus: „Radikale Kurden tragen Gewalt auf deutsche Straßen und in die Städte“ – „Kriegsschauplatz Deutschland“. Bild titelte: „Kohl: Terror-Kurden raus!“ Und auch Die Woche schlagzeilte von „wilden Kurden“, fragte: „Wer sind die Gewalttäter?“, antwortete: „Eine radikale Minderheit“ unter den Kurden „führt Krieg gegen die Türkei – auch in Deutschland“ (Hervorh. v. Verf.), fragte auch: „Warum Selbstverbrennung?“ und fand heraus: „Grauenvoller Protest“.

Sogar die Frankfurter Allgemeine stimmte in den Kanon ein: „Nicht die Unordnung in den Winkeln bricht den Landfrieden, sondern die auf den Straßen.“ Ganz nebenbei wurden die Kurden damit auch pressemäßig abgeschoben: in die „Winkel“ der Geschichte. Radio Bremen kommentierte, diese Autobahnproteste müßten anders behandelt werden als die deutschen, denn die kurdischen Blockierer beteiligten sich „in großer Zahl am Drogenhandel und allen anderen kriminellen Delikten“.

Tatsächlich war über die Autobahnbesetzung durch deutsche Stahlarbeiter noch ganz anders berichtet worden: Als Demonstranten aus Protest gegen die Krupp- Schließung in Rheinhausen den Verkehr lahmlegten, titelte die Presse mitfühlend: „Wir sind am Ende, helft uns!“ Auch der Protest mittels Selbstverbrennung war in anderem Kontext positiv bewertet worden: In der Zeit des Eisernen Vorhangs zwischen Ost und West galt das Autodafé als religiös-pazifistisches Signal: „Wir wollen den bewaffneten Aufstand nicht; wenn es sein muß, sterben wir.“ Der ostdeutsche Pfarrer Brüsewitz und der tschechische Student Palach verbrannten sich – darüber herrschte Einigkeit – aus Protest gegen die stalinistische Diktatur.

Bei fast allen Berichten über die kurdischen Proteste wird vollkommen verkannt, daß die März-Aktionen frei waren von Gewalt gegen andere. „Terror“-Gerüchte, wonach Demonstranten auch Polizisten verbrennen wollten oder Männer ihre Frauen, blieben bislang unfundiert.

Die pauschalisierende Verdrehung des Täter-Opfer-Schemas anläßlich der Berichterstattung über die Kurdenproteste gehört zu der beschämendsten Selbstverstaatlichung, die die deutschen Medien seit dem Golfkrieg von 1991 geboten haben. Die erzeugte Stimmung war gleichzeitig dumm und gefährlich, weil offenkundig das Gegenteil ablief: gerade nicht Eskalation, sondern Deeskalation. Die kurdische Guerilla hatte in der Türkei zweimal hintereinander den einseitigen Waffenstillstand erklärt. Schritte, die vom türkischen Staat nicht erwidert wurden.

Insofern war die Medienreaktion auf die Kurden nicht nur auf dem linken Auge, sondern auf beiden Augen blind. Signale für einen geduldigen Widerstand in einer Frage auf Leben und Tod wurden in einem plumpen Gehorsamsakt gegenüber der sicherheitsstaatlichen Sprache ins Gegenteil verdreht.

Eine Kritik, die auch für die taz gilt. Diese titelte, darin der Bild- Zeitung nicht unähnlich: „Die neue Dimension des Terrors“. Arg mißverständlich für die wohl einzige deutsche Tageszeitung, die seit Jahren in Berichterstattung und Kommentar konsequent auf dem kurdischen Selbstbestimmungsrecht besteht. Daß der „Terror“ im Titel die Polizeibrutalität und Abschiebungsdrohungen meinen könnte, liest auf den ersten Blick wohl kaum jemand heraus. Richard Herding (ID Bremen,

Bereich Medienzugang; Dokumentation: Oladimeji Olaobaju, Bereich Medienarchiv)