■ Roman Herzog und die doppelte Staatsbürgerschaft: Nichts begriffen
Im Endspurt gerät mancher ins Straucheln, mancher zeigt aber auch erst richtig, was in ihm steckt. Vierzehn Tage vor der Wahl zum höchsten Staatsamt in diesem Land weiß man nicht so recht, für welche Variante Roman Herzog sich da jetzt entschieden hat. Ist er – kurz vor dem Ziel – gedanklich oder und verbal gestolpert, als er jetzt im Wochenmagazin Focus über die doppelte Staatsbürgerschaft schwadronierte? Ist er nur falsch verstanden worden? Oder hat er mit deutlicher Offenheit seine wahren politischen Intentionen gezeigt? Das eine wäre schlimmer als das andere, aber beides macht ihn für das Amt des Bundespräsidenten gänzlich inakzeptabel.
Mißverständlich vor sich hinzuplaudern kann sich ein Präsidentschaftskandidat nicht leisten – schon gar nicht bei einem Thema, bei dem es gerade jetzt darum geht, Signale an die Bevölkerung zu senden, an die mit deutschem und mit ausländischem Paß. Gravierender ist jedoch der andere Verdacht: Roman Herzog meint, was er sagt. Und was sagt er? Ausländer der zweiten und dritten Generation könne man nicht einfach als Ausländer behandeln, ihnen müsse man die deutsche Staatsbürgerschaft anbieten – anbieten, wohlgemerkt, nicht erleichtern. Angeboten wird die deutsche Staatsbürgerschaft schon seit Jahren – nur zu einem unverschämt hohen Preis. Einzig in Ausnahmefällen, etwa wenn der Heimatstaat seine Bürger nicht freigibt, will Herzog darüber „nachdenken“, eine doppelte Staatsbürgerschaft zu akzeptieren. Doch worüber der Staats-Präsident in spe nachdenken will, ist längst geltendes Recht, das sollte er als Noch-Präsident des Bundesverfassungsgerichts wissen.
Zum Skandal macht sich der Präsidentschaftskandidat jedoch durch das, was er drauflegt: Wer sich nach einem „angemessenen Zeitraum“ gegen die deutsche Staatsbürgerschaft entscheide, sagt Herzog, der solle in das Land zurückkehren, das er – was mit der Ablehnung des deutschen Passes als bewiesen gilt – als seine eigentliche Heimat betrachte. Eine solche Forderung hat bisher nicht einmal der von einer „durchraßten“ Gesellschaft umzingelte Edmund Stoiber in den Mund genommen. Denn zu Ende gedacht, heißt dies nichts anderes als: Deutschland den Deutschen.
Vielleicht hat Roman Herzog es ja wirklich nicht so gemeint. Unterstellen wir zu seinen Gunsten, daß er damit keine Monsunregen auf die Mühlen der Rechtsradikalen gießen wollte. Dennoch zeigen diese Äußerungen auf beklemmende Weise, daß der Präsidentschaftsanwärter nichts, aber auch gar nichts begriffen hat von diesem Land – nichts von dem spannungsreichen Zusammenleben in einer multikulturellen Gesellschaft, nichts von Toleranz gegenüber Andersdenkenden und -lebenden, nichts von dem rechtsradikalen Ungeist, nichts von den kulturellen Brüchen und den quälenden Fragen der eigenen Identität.
Roman Herzog hat vor allem eines nicht begriffen: das Amt, das er anstrebt, heißt nicht Bundespräsident der Deutschen, sondern Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland. Daß jemand mit diesem (Un-)Verständnis jahrelang höchster Richter der Nation sein konnte, macht noch im nachhinein beklommen. Daß er aber in Zukunft – sofern FDP und SPD ihn nicht noch stoppen – oberster Repräsentant dieses Staates sein wird, macht dieses Land schlechter, als es ist. Vera Gaserow
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