Die Rückkehr der Revolutionäre

In Panama hat die Partei des Reformers Torrijos und des von den USA gestürzten Generals Noriega die Präsidentschaftswahlen gewonnen  ■ Aus Panama Ralf Leonhard

Durch die Invasion der USA Ende 1989 wurde sie gewaltsam von der Macht verdrängt. Jetzt kehrt sie über die ersten wirklich freien Wahlen in der jüngeren Geschichte Panamas an die Macht zurück: Die Revolutionär-Demokratische Partei, die vor 25 Jahren vom nationalistischen General Omar Torrijos gegründet und im vergangenen Jahrzehnt vom korrupten General Manuel Noriega mißbraucht wurde, hat mit Ernesto Perez Balladeres die Präsidentschaftswahlen vom Sonntag gewonnen.

Mit genau einem Drittel der gültigen Stimmen hängte Balladeres die Witwe des sechs Jahre nach seinem Tod noch ungebrochen populären Caudillos Arnulfo Arias, Mireya Moscoso de Gruber, um mehr als fünf Prozent ab. Einen ehrenvollen dritten Platz belegte mit über 18 Prozent der Sänger und Schauspieler Ruben Blades, der sich an die Spitze der basisdemokratischen Bewegung Papa Egoro gestellt hatte. Der 73jährige Ruben Dario Carles, ehemaliger Rechnungshofpräsident und Kandidat der Finanzoligarchie in der Allianz „Wandel '94“, kam auf 16 Prozent – er wird mit dem Strukturanpassungsprogramm der äußerst unbeliebten gegenwärtigen Regierung Endara identifiziert. Das größte Debakel erlitten die Christdemokraten, die noch 1989 stärkste Partei waren und jetzt auf zwei Prozent abgerutscht sind.

Das überparteiliche Wahltribunal ging sofort auf Nummer Sicher und verbot bis gestern mittag jede öffentliche Siegesfeier. Doch wer erwartete, daß sich die Gewalt der letzten, heiß umstrittenen Wahlen des Jahres 1989 wiederholen würden, mußte erkennen, daß sich die Zeiten geändert hatten. Präsident Guillermo Endara, der 1989 von Noriega um seinen Wahlsieg betrogen und schließlich von den USA als Präsident eingesetzt worden war, hat einen tadellosen Wahlgang ermöglicht. Eduardo Valdes, Vorsitzender des Wahltribunals: „Dies waren freie und faire Wahlen.“

Es war auch die erste Wahl in der Geschichte Panamas ohne einen Wunschkandidaten Washingtons. 1903 hatten die USA der damaligen kolumbianischen Provinz zur Abspaltung verholfen, weil sie dort den Kanal bauen wollten, und seitdem, bis zur Invasion von 1989, haben ihre Interessen die Geschicke Panamas beherrscht. Doch Bill Clinton, der sich deutlich von der Intervention seines Vorgängers George Bush distanzieren will, hat nicht einmal einen Botschafter in Panama. Sogar das Interesse, die von Jimmy Carter ausgehandelten Kanalverträge neuzuverhandeln, um die Kontrolle über den strategischen Wasserweg und die Militärbasen nicht zu verlieren, hat Washington aufgegeben.

Die Wahl bedeutet für Panama einen großen Schritt in Richtung einer Souveränität, die die Republik zuvor nie genossen hat. Die siegreiche PRD ist die einzige wirklich landesweit auf allen Ebenen organisierte Partei des Landes. Im Wahlkampf scheint es ihr gelungen zu sein, die Erinnerung an Noriega zu verdrängen und statt dessen den Geist des Sozialreformers Torrijos wiederzubeleben. Als die PRD am vergangenen Mittwoch ihre Abschlußkundgebung veranstaltete, prangte auf T-Shirts und Plakaten überall das Gesicht des populistischen Diktators, der das soziale Netz ausbaute, mit Carter den vollständigen Abzug der USA aus der Panamakanalzone bis zum Jahr 1999 aushandelte und 1981 bei einem mysteriösen Flugzeugabsturz ums Leben kam. Mehr als 20.000 Menschen füllten die zentrale Geschäftsstraße der Hauptstadt und jubelten einem Sohn des Generals zu.

„Torrijos lebt, obwohl er tot ist, und Noriega ist tot, obwohl er noch lebt“, erklärte Balladeres vor seinem Wahlsieg der taz. Wegen seiner gewaltigen Erscheinung „der Stier“ genannt, war der neue Präsident unter Torrijos Finanzminister und kann als einer der wenigen hohen PRD-Funktionäre behaupten, seine Differenzen mit Noriega offen ausgetragen zu haben. So hatte er die moralische Autorität, seine Partei aus der Invasionskrise herauszuführen und als glaubwürdige Alternative zur diskreditierten Endara-Regierungskoalition neu aufzubauen.

Im Bezirk Chorillo in der Hauptstadt, wo die Luftwaffe der USA in der Invasionsnacht vom 20. Dezember 1989 einen ganzen Straßenblock dem Erdboden gleichgemacht hatte, wählte jeder zweite PRD. „Der Stier hat versprochen, daß er uns hilft, wenn er an die Macht kommt“, verkündete Lidia Evans, die sich zur Schneiderin fortbilden mußte, weil sie als ehemalige Sekretärin in der Kommandantur der Nationalgarde Noriegas sonst keine Arbeit mehr fand. Ihre neunjährige Tochter Lidia Milagro hat von den Bombardements ein schweres Trauma abgekriegt. Mit fünf machte sie noch in die Hose, und auch jetzt braucht sie noch psychiatrische Behandlung gegen ihre Lernstörungen.

Gegen die Militärbasen der USA in der Kanalzone hat in Chorillo aber kaum jemand etwas einzuwenden. „Wenn die abziehen, gehen weitere Arbeitsplätze verloren“, knurrte ein Kneipenbesitzer, der vor ein paar Jahren noch Noriega zujubelte. Auf einer US-Basis in der Kanalzone war Guillermo Endara Ende 1989 als Präsident vereidigt worden – eingeflogen, nachdem die US-Luftwaffe Panama bombardierte, die Nationalgarde zerschlug und das Hauptquartier Noriegas dem Erdboden gleichmachte. Mit dieser Hypothek belastet, blieb der fettleibige Endara eine lächerliche Gestalt, obwohl er ja eigentlich mit der bürgerlichen Koalition ADOC den Sieger der von Noriega annullierten Wahlen von Mai 1989 repräsentierte und obwohl in den Jahren seither die Menschenrechte und die bürgerlichen Freiheiten in Panama besser gediehen sind als je zuvor.

Ob die Wirtschaft ihren Aufschwung der letzten Jahre der Regierung verdankt oder nicht, ist umstritten. Tatsache ist, daß der Boom in der Bauwirtschaft und der Rekordumsatz in der Freihandelszone von Colon ohne die Drogengelder, die hier gewaschen werden, wesentlich bescheidener ausgefallen wäre. Daß Noriega jetzt in den USA wegen Drogenhandels im Gefängnis sitzt, ist vor diesem Hintergrund ironisch.

Profitiert hat von der Endara- Herrschaft nur eine kleine Gruppe, während die Arbeitslosigkeit auf inoffiziell geschätzte 25 Prozent hochschnellte und Gesundheits- und Bildungswesen verkümmerten. Die rassistische weiße Oligarchie teilt alle Pfründe unter sich auf, während die dunkelhäutige Bevölkerungsmehrheit die Krise zu spüren bekommt. Dafür ist Endara jetzt die Rechnung präsentiert worden.

Der einzige, der Balladeres noch gefährlich werden konnte, war Ruben Blades, der als Sänger in den USA Karriere gemacht hat. Erst vor wenigen Monaten kehrte er in die Heimat zurück, um sich an die Spitze einer Bewegung zu stellen, die die autoritäre politische Kultur Panamas revolutionieren will. Seine Lieder mit dem sozialen Touch sind im ganzen Land und auch international bekannt. Als promovierter Jurist und Absolvent eines Lehrgangs an der Harvard- Universität bringt er auch intellektuelles Rüstzeug mit. Bei einer TV- Diskussion der Kandidaten schnitt er am besten ab, und in Anzug und Schlips weiß er sich genauso zu bewegen wie im schrägen Outfit vor den Schwarzen von Colon.

Papa Egoró – Mutter Erde in der Sprache der Embera-Indianer – heißt Blades' erst vor wenig mehr als einem Jahr gegründete Partei, die ihr Programm von europäischen Grünen abgekupfert haben könnte. Umweltthemen stehen im Vordergrund ebenso wie Basisdemokratie, eine starke Frauenplattform und Einbindung der Minderheiten. Während die PRD in der Wahlschlacht rund zehn Millionen Dollar verpulverte, hatte Papa Egoró kaum 100.000 Dollar zur Verfügung. Spenden über zehntausend Dollar lehnte Blades ab, um politische Hypotheken zu vermeiden; die Kampagne der Partei wurde von Freiwilligen getragen. Als Blades im April in Umfragen bis auf vier Punkte an den führenden Balladeres herangerückt war, setzte plötzlich eine Schmierkampagne gegen die aufsteigende Kraft ein. Da wurde in anonymen Zeitungsanzeigen „entdeckt“, daß die Parteifahne mit dem Baum dem neuen Symbol der italienischen Ex-Kommunisten ähnlich sieht. Und in Blades' Team wurden angebliche Linksextremisten mit Beziehungen zu Nicaraguas Sandinisten und El Salvadors ehemaliger Guerillabewegung FMLN ausgemacht, während ihm selbst gleichzeitig der Besitz eines US- amerikanischen Passes vorgeworfen wurde.

Blades erklärte nun am Sonntag abend kurz vor Mitternacht, er hätte keinen Anlaß, die Zahlen des Wahltribunals anzuzweifeln, und feierte seinen dritten Platz als großen Erfolg „gegen zwei Parteien mit jahrelangen Erfahrungen auch in der Regierung und unvergleichlich mehr Mitteln für den Wahlkampf“. In der Hauptstadt lag er an zweiter Stelle, während die landesweit zweitplazierte Mireya de Gruber – die den Viehzüchtern und Kaffeebaronen nahesteht – ihre Stimmen vor allem in den agrarischen Zentralregionen und den westlichen Viehzuchtregionen von Chiriqui und Boca de Toro holte.

„Im Jahr 1999 schlägt uns keiner mehr“, behauptete Blades und kündigte zugleich an, er wolle erst einmal wieder singen – „denn von irgendwas muß ich schließlich leben“. Der gewählte Präsident Balladeres schließlich versicherte in seiner ersten Pressekonferenz nach dem Wahlsieg, daß es unter ihm keinerlei politischen Revanchismus geben werde. Sein Kabinett will er, der ja schließlich nur ein Drittel der abgegebenen Stimmen erhielt, nicht allein aus Parteifreunden zusammensetzen, sondern „aus den fähigsten Leuten“.