Einen türkischen oder einen deutschen Paß?

■ Die deutsche Staatsbürgerschaft hat für TürkInnen kaum noch Nachteile

Berlin (taz) – Die umstrittenen Äußerungen des Bundespräsidentenkandidaten Roman Herzog haben erneut ein Schlaglicht auf die Diskussion um erleichterte Einbürgerung und doppelte Staatsbürgerschaft geworfen. Gemessen an seinen fünf Millionen nichtdeutschen Bürgern gehört Deutschland zu den europäischen Schlußlichtern bei den Einbürgerungen. Was die rechtlichen Hürden für die Erlangung der Staatsbürgerschaft angeht, ist es dagegen Spitzenreiter: Wer mindestens zehn Jahre in Deutschland gelebt hat, einen festen Wohnsitz hat und seinen Lebensunterhalt selbst bestreitet, kann einen Antrag auf Ermessenseinbürgerung stellen. Die Entscheidung darüber liegt, der Name sagt es, im Ermessen der deutschen Behörden.

Erst wer mindestens 15 Jahre in Deutschland lebt und dem Staat nicht mit Arbeitslosen- oder Sozialhilfe auf der Tasche liegt, hat einen Rechtsanspruch auf Einbürgerung. Auch Jugendliche zwischen 16 und 23 Jahren, die mindestens sechs Jahre in Deutschland zur Schule gegangen sind, können diesen Anspruch geltend machen. Die Zahl der Ermessenseinbürgerungen ist in den letzten 20 Jahren von 24.000 auf 141.000 (1991) gestiegen. Die der Einbürgerung per Rechtsanspruch von 12.000 auf über 110.000. Bei der zahlenmäßig größten Immigrantengruppe, den türkischen Einwanderern, ist die Zahl der Einbürgerungen jedoch erstaunlich gering. Die Tendenz zum deutschen Paß ist zwar auch hier steigend, doch werden derzeit gerade knapp 4.000 Türken pro Jahr zu deutschen Staatsbürgern. Eine vergleichsweise niedrige Ziffer, die neben den hohen rechtlichen Hürden vor allem auf psychologische Sperren hinweist. Denn während die Entscheidung, die alte Nationalität und einen Teil der kulturellen Identität aufzugeben, auch ImmigrantInnen der zweiten und dritten Generation große Schwierigkeit macht, sind die praktischen Probleme vergleichsweise gering.

Die Annahme der deutschen Staatsbürgerschaft hat in der Türkei mittlerweile kaum noch Nachteile zur Folge. Anders als früher können zu Deutschen gewordene Türken in ihrer alten Heimat jetzt ihr Erbe in vollem Umfang annehmen. Ausgeschlossen ist nur das Erbe von Grund und Boden innerhalb von Dörfern mit weniger als 2.000 Einwohnern. Hier müssen die Neu-Deutschen die ererbte Immobilie zu geringem Preis an den Staat verkaufen. Ansonsten gibt es im Erbschaftsfall kaum nennenswerte Benachteiligungen.

Bisherige Hürde Nummer zwei: der Militärdienst. Auch hier hat die Türkei im letzten Jahr die Hindernisse für die Annahme der deutschen Staatsbürgerschaft ausgeräumt: Wer in Deutschland Kriegs- oder Zivildienst geleistet hat, wird in der Türkei nicht mehr eingezogen und muß sich auch nicht mehr mit 10.000 Mark freikaufen. 16- bis 23jährige Männer, die noch keinen Dienst in der türkischen Armee geleistet haben, entläßt die Türkei allerdings nicht aus ihrer Staatsbürgerschaft. In diesen Ausnahmefällen verlangt das deutsche Ausländerrecht jedoch auch keinen Nachweis der Aufgabe der alten Staatsbürgerschaft, sondern akzeptiert einen doppelten Paß.

Eine Zahl verdeutlicht, daß die Diskussion um die doppelte Staatsbürgerschaft vor allem den Charakter einer politischen Geste gegenüber den ImmigrantInnen und ihrem Recht auf eigene Identität und Andersartigkeit hat: Von den 3.500 TürkInnen, die sich 1991 in Deutschland einbürgern ließen, haben 2.366 eine doppelte Staatsbürgerschaft. Was es offiziell gar nicht gibt – und nach Roman Herzog auch nur in Ausnahmefällen geben soll –, funktioniert in der Praxis ganz einfach: wer DeutscheR werden will, läßt sich vom türkischen Konsulat ausbürgern. Ist der deutsche Paß erst einmal in Händen, kann man als DeutscheR innerhalb eines Jahres die Wiedereinbürgerung in die Türkei beantragen, und schon ist sie da, die doppelte Staatsbürgerschaft. Vera Gaserow

Siehe auch Kommentar Seite 10