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Küssende Nonnen

■ Die umstrittene Benetton-Werbung: der Kunst gilt sie als abgehangen, dem Zeitgeist als diskussionswürdig

Schwarzes Schaf und weißer Wolf, bunte Herbstblätter in Erdöl, Kinderarbeit, Aids und Mafiamorde: Keine Werbekampagne ist so konsequent den Weg weg von netten Illusionen hin zur Nutzung unserer alltäglichen Katastrophenbilder gegangen, wie diese norditalienische Pulloverfirma Benetton, die mit ihren selbstgeplanten Werbekampagnen Bildtabus bricht und Proteste erntet.

Anläßlich einer Ausstellung der Werbe-Fotos von Oliviero Toscani, Haus-Fotograf und mit Luciano Benetton zusammen Erfinder der Kampagne, wurde im Museum Buxtehude am Montag in einer Diskussion versucht, das besondere Verhältnis von Werbung und Wirklichkeit zu klären.

Vor vollem Saal moderierte der Bürgermeister das fünfte Streitgespräch des Kunstvereins – eine immerhin bemerkenswerte Aufmerksamkeit für die Kultur, wie sie wohl nur noch in Kleinstädten möglich scheint. Doch nicht die Bilder von Mord, Krankheit und Umweltdesastern bewirkten den Protest bis zur Einschaltung von Polizei, sondern die Reihung frontal fotografierter Geschlechtsteile: eine leider durchaus verallgemeinerbare Doppelmoral.

Für die Kunstszene gilt dies seit den sechziger Jahren schon als eine ziemlich abgestandene Provokation, doch diese Sexbilder, die raumfüllend auf der letztjährigen Biennale di Venezia zu sehen waren, adelten Toscani zum Künstler.

Schon vor zweihundert Jahren dachte Immanuel Kant über die schöne Darstellung des Häßlichen nach. So straft die Lektüre der „Kritik der Urteilskraft“ das flapsige Etikett vom „postmodernen“ Bilder-Spiel die Realität Lügen. Egal, ob's ärgert, ob Profis die Fotos für schlecht halten oder ob Theoretiker die Kampagne sogar schädlich für den Pulloververkauf halten: Auf jeden Fall hat die Firma es geschafft, daß ihre Werbung auch ohne Ware und Logo funktioniert, sie ist im Gespräch, und genau das ist das Ziel. Hajo Schiff

Kunstverein im Museum Buxtehude, Stavenort 2, Ausstellung bis 15.Mai, Di-Fr 13.30-17.30, Sa+So 10.30-17.30, Finissage Sonntag ab 20 Uhr.

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