Wenn eine Frau „Nein“ sagt, meint sie „Nein“

■ Neue Polizei-Kampagne zur Gewaltbekämpfung zielt auf potentielle Täter Von Kai von Appen

Neuland für Hamburgs Kriminalpolizei in der Verbrechensbekämpfung: „Prävention“ heißt die Zauberformel. Genauer: „ursachenorientierte Gesamtprävention“. Zu deutsch meint dies Vorbeugung, wobei aber, und das ist neu, Zielgruppe der Aufklärungskampagne nicht mehr vorrangig das mögliche Opfer ist, sondern der potentielle Täter. Im Bereich „Gewalt gegen Frauen“ hat die Kripo damit eine Wendung um 180 Grad vollzogen.

Ein typischer Fall: Dem netten Flirt im Büro folgt die Einladung zum Essen. Der Abend verläuft romantisch, doch auf der Heimfahrt passiert es: Der Kollege realisiert nicht, daß frau wirklich „Nein“ meint, wenn sie „Nein“ sagt. Der nette Büronachbar wird zum Vergewaltiger. Danach der zweite Schock: Die Frau wird zur Verursacherin erklärt – sowohl von Arbeitskollegen als auch von der Polizei. „Die hat doch selber Schuld, warum hat sie ihm so schöne Augen gemacht.“ Oder: „Warum rennt die auch im aufreizenden Mini herum“.

Mit diesen klassischen Vorurteilen möchte die Polizei aufräumen. „Es geht darum, die Verantwortung vom Opfer zu nehmen und dem Täter zu übertragen – der Mann muß selbst für sein Handeln verantwortlich sein“, so gestern Wiebke Steffen, Kriminologin beim Landeskriminalamt München während der Präsentation des Programms „Kriminalistische Vorbeugung“ in Hamburg, einem Bund-Länder-Projekt der Landeskriminalämter. Steffen: „Bislang galt die Meinung, Frauen haben dafür Sorge zu tragen, daß nichts passiert.“ Hamburgs Kripo-Chef Wolfgang Sielaff dazu: „Die Beratung konzentrierte sich auf die Opfer, der Täter war für uns tabu.“

Aufgrund der modernen Präventionsforschung müsse Vorbeugung aber auch beim potentiellen Täter ansetzen. Sielaff: „Wahre Gewalt gegen Frauen ereignet sich vor allem im sozialen Nahfeld.“ Die meisten Frauen kannten ihren Vergewaltiger: den Disco-Flirt, den Arbeitskollegen, den neuen Lover. Durch ein peppig aufgemachtes Faltblatt sollen Männer angesprochen und „Täterdemotivation“ betrieben werden. Die Kampgane zielt darauf ab, den Mann bei seinem Stolz zu packen, eine Diskussion in der Männerwelt auszulösen, die dazu führen soll, die Frau als gleichberechtigte Partnerin anzusehen und ein „Nein“ zu akzeptieren.

Vor allem soll jedoch endlich mit alten Klischees aufgeräumt werden. Typische Beispiele frauenverachtender Männerphantasien: „Wenn Frauen ,Nein' sagen, heißt es eigentlich ,Ja'.“ Und: „Wenn ich eine Frau zum Essen einlade, gibt's zum Nachtisch Sex.“ Oder: „Frauen mit sexy Kleidung sind auf Männer scharf.“ Die polizeiliche Ermahnung an den Mann: „Kurze Röcke und hohe Schuhe machen Frauen nicht zum Freiwild! Frauen zeigen heute selbstbewußt, wer sie sind und genießen die neue Modefreiheit. Eine Augenweide, aber mehr nicht, einverstanden?“

Radikale polizeiliche Wende auch in der Frauenberatung. Sielaff: „Die Polizei hat bislang die Auffassung vertreten, Frauen sollen sich bei einer Vergwaltigung nicht wehren. Diesen Blick sollten wir verlassen.“ Denn eine Studie der Hannoveraner Kriminologin Susanne Paul, die 289 Vergwaltigungen untersucht hatte, ergab überraschend, daß durch die Kampfbereitschaft der Frau 95 Prozent aller Vergewaltigungen und sexuellen Nötigungen verhindert werden können (die taz berichtete). Daher der Tip der Kriminalistin: Frauen sollten vermehrt zum Eigenschutz Selbstverteidigungskurse belegen, in denen ihnen die Angst genommen und Selbstsicherheit sowie Stärke vermittelt werden. Wiebke Steffen: „Bei einer Vergewaltigung nicht passiv, sondern aktiv verhalten und schnell den Konfliktort verlassen.“

Das Faltblatt ist in Polizeidienststellen und -beratungsstellen erhältlich.