Frauen und Kinder im KZ Bergen-Belsen

■ Erstmals wurde das Leben von Frauen und Kindern im KZ erforscht / Tagebuch von 1944

Bergen-Belsen Eine Sache brachte Hanna Levy-Hass, Häftling im KZ Bergen-Belsen, „schrecklich außer Fassung“: „Wenn man sieht, daß die Männer viel schwächer und weniger widerstandsfähig sind als die Frauen. Physisch und sehr oft auch moralisch. Sie können sich nicht beherrschen und zeigen einen solchen Mangel an Mut, daß sie einem leid tun. Der Hunger drückt sich in ihren Gesichtern und Gesten weit erschreckender aus als bei den Frauen“, heißt es in dem 1944-45 geschriebenen Tagebuch der heute vor 80 Jahren in Sarajevo geborenen Jüdin. „Bei dieser Tagebuch-Bemerkung bleibe ich auch heute noch“, stellte die heute in Frankreich lebende, politisch aktive Hanna Levy-Hass am Wochenende anläßlich ihres ersten Besuches der KZ-Gedenkstätte Bergen-Belsen fest.

Bis zum 8. Juli wird dort eine Ausstellung „Frauen in Konzentrationslagern“ in Zusammenarbeit mit dem KZ Ravensbrück gezeigt, die die Spätphase Bergen-Belsens beleuchtet, in der das bis dahin existierende Aufenthaltslager für „Austauschjuden“ in ein KZ verwandelt wurde.

Ab August 1944 wurden immer mehr Frauen und Kinder in den Ort am Rande der Lüneburger Heide deportiert. Ende März 1945 vegetierten 30.000 von ihnen sowie 13.000 Männer in provisorischen Zelten oder rangen zusammengepfercht und von Typhus und Hunger gezeichnet unter freiem Himmel um ihr Überleben.

Auf feuchter, nackter Erde, ohne Toilette, oft kahlgeschoren, aus Blechdosen Kohlsuppe löffelnd, mit wimmernden Kinder im Arm, „lebten“ tausende von russischen Zwangsarbeiterinnen, Jugoslawinnen, Polinnen, Französinnen und Belgierinnen häufig dem schnellen Tod durch Unterernährung und Seuchen entgegen – Frauen, die dem KZ Auschwitz oder dem Frauen-KZ Ravensbrück entkommen und vor der anrückenden Roten Armee Richtung Westen in Viehwaggons evakuiert worden waren. Hinzu kamen tausende von Sinti- und Roma-Frauen aus aller Welt, die Odysseen durch Mauthausen, Buchenwald und Ravensbrück hinter sich hatten und, so erinnerte sich anläßlich der jetzigen Ausstellung die Sinti Berta Weiss an ihre Tante Alwine, die zwar die Befreiung Bergen-Belsens durch die Engländer im April 1945 erlebte, „bald darauf aber starb, ohne ihre fünf Kinder je wiedergesehen zu haben“.

Was es hieß, in KZ-Haft schwanger zu sein, machen die von Studenten der Projektgruppe am Historischen Seminar der Universität Hannover erarbeitete Ausstellung und das 350 Seiten starke, in der Bremer Edition Temmen erschiene Buch „Frauen in Konzentrationslagern“ ebenso deutlich wie Kunst und Kultur als Form der Selbstbehauptung oder Leid durch medizinische Experimente. Die exemplarisch dargestellte Lebensgeschichte von neun weiblichen Häftlingen zeigt die Unterschiedlichkeit der Schicksale trotz der gemeinsamen Erfahrung: „Es war so, als ob nichts mehr von unserer Persönlichkeit dageblieben ist, als ob man uns auch die Haut abgestreift hätte.“

Erfahrungen vieler Geschlechtsgenossinnen, die von SS-Männern auch sexuell mißbraucht wurden, kann Hanna Levy-Hass nicht teilen: „Das Verhalten der SS-Männer richtete sich nach der Persönlichkeit der Frauen.“ Weder gedemütigt noch entmutigt hätten sich viele Frauen gefühlt, „sondern sich eindeutig jenen überlegen, die sich für Übermenschen hielten“, wie die 80jährige die Quelle ihrer Überlebenskraft beschrieb.

Karin Toben, dpa