Der durchbrochene Teufelskreis

■ „Der Tod und das Mädchen“ in einer neuen Inszenierung im „Concordia“: Ein starkes Stück, starke SchauspielerInnen und starke Dialoge über Folter und Vergebung

Man merkt es gleich – hier stimmt was nicht. Hinter dem geräumigen Anwesen der Eheleute Escobar hängt der blaue Himmel in Streifen herab. Und so groß die Patio ist: Paulina und Gerardo Escobar nützt der große Raum ja gar nichts – sie sind so steif, innerlich gefesselt, daß sie sich auf dem Bühnenraum des Concordia-Theaters kaum bewegen. Was haben die beiden – und warum sprechen sie so unterschwellig agressiv miteinander?

Erst allmählich, Szene für Szene, werden diese Fragen beantwortet. Aber die Spannung läßt nicht nach, als die ZuschauerInnen von „Der Tod und das Mädchen“ endlich begreifen können, was Gerardo und Paulina so belastet: Paulina hat Vergewaltigung und Folter überlebt. 15 Jahre ist das her. Aber immer noch ringt sie darum, daran nicht zu verzweifeln und ein Leben in Würde zu führen: Folter und Vergebung sind die großen Themen, die sich hinter dem zeitgenössischen Stück von Ariel Dorfmann verbergen. Drei Personen verkörpern darin die vielfältigen Aspekte einer entsetzlich aktuellen Diskussion über Menschenrechte und Menschlichkeit: die Gefolterte Paulina Escobar (Cornelia Kempers), ihr Mann Gerardo (Christian Hoening), zugleich Anwalt und Verteidiger der Menschenrechte und der Arzt Roberto Miranda (Jean-Pierre Cornu), in dem Paulina ihrer Folterer erkennt.

Beeindruckend ist das Stück schon vom Stoff her, weil er auf jegliche Simplifizierung der Charaktere verzichtet. Zwar liebt Gerardo, der Menschenrechtsanwalt, seine Frau. Doch will er verhindern, daß sie sich am Täter vergreift, als sie seiner zufällig habhaft wird. Es gelingt Gerardo, seinen Grundsätzen treu zu bleiben, ohne Paulina zu verraten. Und Paulina bricht das Tabu von Vergewaltigung und Folter. Indem sie dafür Worte findet – und in ihrem Mann ihren Anwalt – kann sie ihre Menschlichkeit bewahren. Am Ende erreichen beide das Ziel: Sie können die Diktatur der Folter, die ihr Privatestes beherrschte, durchbrechen und Paulina so dem Kreislauf von Gewalt entreißen, der einen Teil der Spannung, die das Stück beherrscht, ausmacht.

Wer „Der Tod und das Mädchen“ anschaut – genannt nach der Melodie Schuberts, zu der Paulina gefoltert wurde – wird den Verdacht nicht los, der Autor habe es vielleicht selbst inszeniert. Denn so ackurat wie in seinen Dialogen Andeutungen fallen, die immer wieder aufgegriffen werden, bis sie am Ende eine Erklärung finden, so ackurat und nüchtern ist auch das Bühnenbild gehalten. Und so entsprechend zurückhaltend und überlegt spielen die SchauspielerInnen ihre Rollen. Selbst da, wo sie eckig und steif wirken, kann man sich darauf verlassen, daß das gewollt ist – in diesem Stück verliert niemand wirklich die Kontrolle über sich. Selbst Paulina bewahrt die Fassung, als sie ihrem Folterer begegnet – obwohl sie dem Verdacht ausgesetzt ist, verrückt zu sein.

Die Dialoge sind stark – nicht nur, weil sie Vorurteile aufgreifen, die sich gegen die Opfer wenden. Sondern auch, weil Paulina letztlich auf den Dialog gesetzt hat. Durch dieses Vertrauen in die Worte hat Dorfmann den Ausgang des Stückes angelegt: Es bleiben viele Fragen. Die meisten siedeln in der Grauzone menschlicher Gefühle. Sie ringen, wie Paulina und Gerardo, darum, zu verstehen was Gerechtigkeit ist. Und was Verrücktheit – oder was wäre es, wenn Paulina den Folterer wirklich umbrächte? Eva Rhode

Nächste Aufführungen: Donnerstag, 12.5., und Freitag, 13.5., und Sonntag, 15.5., jeweils um 20 Uhr im Concordia