Baroque light

■ Händels „Almira“ am Goetheplatz - vom Rendezvous-Duell bis zur Kerkerszene: Opernleben ohne Bombast

Almira - oder die höchst verwickelte Geschichte der Königin von Kastilien, die verschiedener Liebeshändel wegen nicht zum Regieren kam und dann doch auf wundersame Weise den Richtigen fand, der ihr die Staatsgeschäfte abnahm: So könnte der vollständige Titel von Georg Friedrich Händels Erstling lauten, der vor nunmehr 289 Jahren in Hamburg uraufgeführt werden mußte, weil unsere Stadtväter für den Luxus eines Opernhauses keinen Pfennig übrig hatten.

Thomas Albert, der hiesigen Musikhochschule professoral verbunden, hat sich entschlossen, mit dem Ensemble Fiori Musicali – Barockorchester Bremen, dem Barock TanzTheater Bremen in Kooperation mit dem Theater am Goetheplatz dieses Jugendwerk, das lange in den Archiven schmorte, zur Aufführung zu bringen.

Der junge Händel griff zu einem Libretto, das voll auf der Höhe seiner Zeit stand. Bedeutung und Qualität der Textvorgabe entspricht in etwa der Berichterstattung der britischen Presse über die höchst unterhaltenden und bewegenden Haupt- und Nebenaktionen der unglücklichen Bewohner des Buckingham Palace. Nur hat sie ein irgendwie konstruiertes Happy End. Man mag sich nach Lektüre der Inhaltsangabe mit Grausen abwenden, doch die Musik, die da so unverbraucht und unerhört frisch aus dem angelupften Orchestergraben und von der Bühne tönt, entführt einen in musikalische und dramatische Welten, in denen all das, was uns die Operngeschichte der letzten 300 Jahre beschert hat, gerade neu entdeckt und erfunden wurde.

Schon das Bühnenbild, das Eckhard Felix Wegenast verantwortete, verzaubert. Es greift dezent und stilisierend barocke Symmetrie und Perspektiven auf. Mit Farbe, Licht, ein paar Stellwänden und imaginären Säulen wird ein gut bespielbarer Illusionsraum geschaffen, mit eigener ästhetischer Dramatik, aber ohne barocken Bombast. Baroque light, sozusagen.

In diesem Raum läßt Regisseur Ulrich Peters das von Götz Fischer brillant haute couturig eingekleidete Bühnenpersonal mit und gegen die Symmetrie (an)spielen. Mit leichter Hand, ohne bedeutungsschwangere Vertiefungen und ohne karikaturistische Distanzierungen schweben, tanzen und kämpfen die Akteure sich durch Staatsaktintrige, Rendezvous-Duell und die obligate Kerkerszene. Peters inszeniert eng an der Geschichte entlang, trotzdem gelingt es ihm, Händels den damaligen Formgesetzen verhaftete Musik in unerhört stimmige szenische Aktionen umzusetzen.

Daß dies glückte, war dem homogenen Team jugendlich wirkender SängerInnen zu danken. Es vereinte unerhörte Beweglichkeit und Spielfreude mit einem Hauch von Ironie, der die formale Enge des Barock-Musiktheaters vergessen ließ. Ann Monoyios als dem Schicksal ausgelieferte Königin versteht es mit ihrer zarten, biegsamen Stimme, eine Da-Capo-Arie so mit Leben zu erfüllen, daß sie nicht als manieristische Verzerrung menschlicher Regungen erscheint, sondern als deren vollkommener künstlerischer Ausdruck.

Douglas Nasrawi sang sich virtuos als bezwingender Bösewicht, der das traditionelle Gestenrepertoire des Opernintriganten mit Augenzwinkern und Eleganz auflösen kann, durch die Partitur. Patricia Rozario überzeugt als empfindsames Seelchen und David Thomas als zuletzt doch siegreicher Liebhaber.

Zu derartigen Lichtgestalten und Dunkelmännern gehört ein verfremdender Kontrast. Diesen liefert Christian Elsner, der mit seiner voluminösen Körperlichkeit und seinem lyrischen Tenor dem tumben, verfressenen Dienstboten Tabarco, der nicht nur seiner Herrschaft treu aber verständnislos zu dienen weiß, sondern auch noch seinen eigenen Vorteil sucht, zu vergnüglichem Bühnenleben erweckt.

Den in zwei Orchester gegliederten Musikanten bei ihrem aufmerksamen und beseelten Konzertieren unter Alberts souveräner Leitung zuzuhören und vor allen Dingen auch zuzusehen, machte besonderes Vergnügen. Das von den Rängen her etwas kompakte, die Sänger überlagernde Klangbild fächert sich fein differenziert auf - gelingt es dem Zuhörer, sich ins vordere Parkett zu schleichen.

Diesen genußreichen Opernabend, die zweite Vorstellung der Koproduktion, verfolgten doch erstaunlich wenige ZuhörerInnen. So mancher war wohl verschreckt von der Vorstellung, historisierende Spezialisten würden ihr akademisches Werk verrichten. Nichts dergleichen passiert. Selbst in den Pausen wird man beim Sektschlürfen durch kleine burleske Einlagen glänzend unterhalten, so daß kein Platz für Fachsimplen bleibt.

Mario Nitsche

Nächsten Aufführungen am 4., 6. und 8. Juli im Theater am Goetheplatz