Verbrecher und Verbrechen

■ Eine Projektgruppe der Hochschule der Künste setzt die dunklen Seiten der Neuköllner Vergangenheit in einer Ausstellung künstlerisch um

Wie bitte? „Mord im Museum! – Verbrechen und Verbrecher in Neukölln“ So heißt die neue Ausstellung im Heimatmuseum Neukölln, die am Wochenende eröffnet wurde. Ein Bezirk präsentiert seine Mörder und Verbrechen? Das Thema scheint zunächst abwegig, entpuppt sich aber als eine Milieu- und Mentalitätsschilderung, die nicht nur für den ehemaligen Arbeiterbezirk Rixdorf Gültigkeit hat.

Grundlage für die Ausstellung sind zwölf Neuköllner Kriminalfälle vom 19. Jahrhundert bis heute, die drei Berliner ZeitgeschichtlerInnen recherchierten. Davon inspiriert, schuf eine 13köpfige Projektgruppe der Künstlerweiterbildung an der HdK eine subtile Welt aus Tätern und Opfern, in denen die einzelnen Lebensschicksale und die Frage nach Recht und Gerechtigkeit im Mittelpunkt stehen.

Da entpuppt sich der nette Nachbar aus Britz als Schreibtischmörder Adolf Eichmann, der den Völkermord an den Juden plante und leitete. Der Besucher hört Tonbandaufzeichnungen von Eichmanns Prozeß vor einem Jerusalemer Gericht und wird dabei daran erinnert, daß heute der Massenmord an den Juden geleugnet werden darf.

Auf der anderen Seite steht die alltägliche Gewalt zur Debatte, die sich unter Ausschluß der Öffentlichkeit in den Wohnzimmern abspielt. Durch einen engen, dunklen Flur gehend, wird der Besucher zum Voyeur, der durch Türspione hinter die Maske des Biedermanns sieht. Die geschwollenen Augen des Kindes sind erst auf den zweiten Blick zu erkennen. Das Verbrechen im Ehebett spielt sich unter der Decke ab, kann höchstens erahnt werden. Weggucken? Erst im letzten Raum explodiert die Gewalt förmlich, bahnt sich ihren Weg nach draußen. Die blutverschmierte Leiche ist nicht mehr zu übersehen.

Der Hauptausstellungsraum hat sich in einen Gerichtssaal verwandelt. Bereits am Eingang stürzen zwei Regale mit Akten über den Schaulustigen zusammen. „Wir wollen damit die Bedrohung deutlich machen, die von der Bürokratie ausgeht“, meint die schwedische Bildhauerin und Textilkünstlerin Hanna Sjöberg, die den Raum mit gestaltet hat. Hinter dem großen Richterpult ändert ein Diaprojektor das Gesicht der Justiz im Sekundentakt. Mittelalterliche Inquisition, Französische Revolution, Freislers NS-Gerichtshof, Nürnberger Prozesse: Was ist Recht, was ist Gerechtigkeit? Die „Schuldigen“ verschwinden unauffällig. Die Gefängniszelle ist hinter die Kulissen plaziert, darin hängt eine Original-Hausordnung aus der Jahrhundertwende. „Besser du thust es gutwillig, als daß dein böser Wille gebrochen wird“, heißt es darin.

Die Rolle der Opfer repräsentiert der jüdische Gynäkologe Benno Heller, der an Frauen Abtreibungen vornahm und bei ihnen als Gegenleistung Juden versteckte. Heller mußte als KZ-Arzt bei Mengele in Auschwitz arbeiten und wurde in den letzten Kriegsmonaten umgebracht. Für die Nazis ein Verbrecher, ist er heute ein Held. „Die Tatmotive, die wir künstlerisch aufarbeiten, sind sehr verschieden“, sagt dazu Projektleiterin Katja Jedermann. Daß die NS-Vergangenheit soviel Raum einnimmt, liege daran, daß die Geschichte Neuköllns auch eine jüdische Geschichte sei. Außerdem wohnte Eichmann „hier um die Ecke“.

Die Ausstellung beschränkt sich aber nicht nur auf Rixdorf-Neukölln. Die internationale Besetzung der KünstlerInnengruppe und die verschiedenen Darstellungsformen lassen erkennen, daß die Triebfedern für Verbrechen und die Maschinerien der Justiz überall ähnlich sind. Der Fall eines Frührentners, der sein Enkelkind sexuell mißhandelte, hätte sich auch sonstwo in Deutschland abspielen können. Den Besuchern bietet sich das Bild eines biederen Kleinbürgers hinter der Fassade eines großstädtischen Häuserblocks.

Die Ausstellung dauert bis März 1995. Martin Hörnle