■ Die Wunder der Welt auf einer Pauschalreise gesehen:
: Lieber Death Metal als Peking-Oper

Frankfurt (taz) – Mit einem Stück Pappe fächert Paul das Grillfeuer an und setzt seine Reisebeschreibung vom Balkon aus lautstark fort: „Also die Ming-Gräber sind voll Scheiße.“ Diese Kennzeichnung eines jahrtausendealten Kulturgutes erzeugt ebenso erstaunte wie neugierige Gesichter. Paul ist gerade von seiner Pauschalreise zurück, die ihn nach Moskau und Peking führte. Während er Bratwürste und Rippchen auf dem Rost anordnet, fährt er lebhaft fort mit der Schilderung seiner Besichtigung der chinesischen Grabkammer:

„Dann sind wir stundenlang durch betonierte Gänge geführt worden, bis wir vor zwei Holzkisten standen. Erst jetzt sagt der Reiseführer, das wären nicht die echten Särge, sondern Nachbauten. Die echten wären im Museum...“ Paul ist sichtlich entrüstet. Mit der Geste des Sachverständigen, der hinter die Kulissen geblickt hat, rät er uns weltmännisch – aber keinesfalls überheblich – von einem Besuch ab: In seiner Stimme klingt echte Enttäuschung an.

Gefallen hat ihm aber die chinesische Mauer: „Das einzige Bauwerk, das man sogar aus dem Weltraum sieht.“ Wie lang ist die noch mal? „Weiß nicht so genau“, sagt Paul. Er hantiert jetzt mit dem Spiritus. Eine Stichflamme bräunt das Fleisch, und Paul verschwindet im Nebenzimmer. Er kehrt mit einer in Plastikfolie eingeschweißten Urkunde zurück, die ihren Besitzer hochoffiziell in fehlerhaftem Englisch als Besteiger der Großen Mauer ausweist.

Paul ist zweifellos einer der liebenswürdigsten Menschen, die ich kenne. Außerdem ist er Direktor einer Musikschule und Gitarrist der hiesigen Lehrerkapelle. Er verfügt über viel Geduld und Toleranz gegenüber den verschiedensten Formen der Musik. Er hat mir sogar erlärt, daß „Death Metal“ auf einem ganz bestimmten Akkord basiert, der bis ins 16. Jahrhundert hinein verboten war. Um so erstaunlicher sind seine nicht sehr musikalischen Anmerkungen zur Peking-Oper: „Wenn du deinem ärgsten Feind auf gesellschaftlicher Ebene eins auswischen willst, dann schenke ihm eine Karte für die Peking-Oper ...“ Es folgt eine lautmalerische und gestische Imitation (Tschung, tschung, tschung ...), begleitet vom Gelächter der Anwesenden. Paul beschließt seine sinnlich dargebrachte Demonstration mit der Bekräftigung: „Das geht normal drei Stunden. Zum Glück haben wir nur ein best of von 20 Minuten gesehen. Ich kann dir sagen ...“

Wider Erwarten sind die ersten Grillteile nicht so verkohlt, wie es schien. Die frische Luft dieses ersten sonnigen Apriltages steigert Appetit und Neugier. Pauls Reisebericht würzt die Würste. „Wir waren den ganzen Tag unterwegs in Museen und am Abend in der Peking-Oper vollkommen überdreht. Kaum fängt der auf der Bühne an mit seinem Jaulen, muß ich losprusten. Zu zweit mußten die mich festhalten, damit ich mich wieder einkriege.“ Auf beiden Backen kauend, wechselt Paul mit erhobenem Zeigefinger das Thema, einer plötzlichen Eingebung folgend: „Ich weiß jetzt, in welchem Zimmer vom Kreml immer die Verträge unterschrieben werden. Ich war da nämlich drin.“

Die Zeit vergeht, die Dämmerung bricht herein, und bei reichlich Wein wird das Problem der Zeitverschiebung bei Langstreckenflügen erörtert. Es wird Holzkohle nachgelegt. Die gegrillten Rippchen sind phantastisch. Leider ist der Ketchup zu Ende. Bei Kerzenlicht kreisen die Fotos: Paul mitten auf dem Roten Platz und auf dem Platz des Himmlischen Friedens. Später im Gehen frage ich Paul: „Aber chinesisch essen gehst du noch?“

„Klar!“ marie