Brise aus der Steckdose

Surfing in the hall – das zweifelhafte Sporterlebnis unterm Dach ist sportlich und ökologisch umstritten, nur gut zum Geldverdienen  ■ Aus Paris Fred Wipperfürth

Sonne, Sand und frische Brise? Pustekuchen. In Paris ist Windsurfen schmutzig-grau und findet unter dem schonungslosen Licht kalter Neonröhren statt. Zwischen Beton und Stahl gequetscht. „Windsurfen ist Natur, ist mehr als Sport, ist ein Lebensgefühl“, fabuliert ein Sportler glückselig im Interview. Der Mann scheint von einer schwerwiegenden Halluzination befallen zu sein.

Wir nämlich sitzen leicht verschnupft – es zieht – im Fahrerlager zwischen Surfbrettern und Segeln. Der ohrenbetäubende Lärm der riesigen Ventilatoren, die in der gigantischen Haupthalle des Pariser „Palais Omnisport“ für Wind im Segel sorgen, stört hier zwar nur wenig. Trotzdem herrscht Tristesse. Statt Sonne kaltes Kunstlicht, statt Sand ein kalter Betonboden, bedeckt mit dünnem Nadelfilz. Es steigt ein muffiges Gemisch aus Feuchtigkeit, Gummi und Schweiß in die Nase. So leben die weltbesten Windsurfprofis während des Indoor-Worldcups.

Indoor ist Windsurfen in der Halle. Klingt aber besser. Seit 1990 gastiert der Profizirkus einmal im Jahr in der Mega-Halle an den Ufern der Seine. Dorthin befohlen von der Professional Boardsailors Association (PBA), einer Organisaton mit Sitz in London, die, wie die ATP im Tennis, Stars wie Robby Naish (31), Dauerweltmeister Björn Dunkerbeck (Spanien) oder deutsche Spitzenkräfte wie die 26jährige Ex-Weltmeisterin Jutta Müller (Roxheim) auf Tour rund um die Welt schickt.

Und weil die PBA anno 90 eine Menge Dollars witterte, erhob man die Trockenübungen eines cleveren Franzosen namens Fred Beauchene auch bald in den Adelsstand (Indoor-)Worldcup. Mit einem Preisgeld von rund 175.000 Mark.

Flugs wurden linientreue AthletInnen beschworen – „eine tolle Show für Fans und Fahrer“ –, und nur hin und wieder verirrte sich hörbare, weil bei Sponsoren unbeliebte, Kritik unter die Stimmen der Profis. Der Grund: satte Antrittsprämien bis zu 15.000 Dollar für die Stars. Also wird schnell wieder abgewiegelt. Das Interesse der Fans und der Medien sei ja riesig, sagt Weltmeister Dunkerbeck (24). Und allein deshalb habe die Show ihre Berechtigung.

Logisch, weil bei rund 43 Stunden weltweiter TV-Berichterstattung – an den drei Wettkampftagen – die Sponsoren Schlange stehen. Was wiederum außergewöhnlich ist, erntet das Windsurfen ansonsten nur die Brosamen der Werbeetats. „Mir tut es schon weh, zu sehen, wieviel Geld ins Hallensurfen investiert wird, wohingegen sich draußen kaum jemand drum schert“, jammert der deutsche Profi Robby Seeger. Was den 24jährigen mit Wohnsitz auf Maui/ Hawaii gleichwohl nicht davon abhält, kräftig mitzuverdienen. „Ich mach' hier meinen Schnitt.“

20.000 Fans ziehen den Kunstwind einem lauen Frühlingslüftchen vor. In einem internen Papier spricht der französische Veranstalter, ein Monopolunternehmen, dem Idee und technisches Equipment gehören, von einem Mindestgewinn von 400.000 Dollar. Er und die Zuschauer sind die einzigen Enthusiasten bei diesem Spektakel. Robby Naish, der Erfinder des Surfens in den USA, gehört zu den lautesten Kritikern des Indoor- Cups. Nicht nur ein Slalom wird absolviert, die Surfer müssen auch über eine Schanze springen. Und an dieser scheiden sich die Geister. Nicht nur wegen der material- und gesundheitsgefährdenden Konstruktion aus Stahl und Gummirollen ist die Rampe bei den Profis beliebt wie ein Barren in der Turnstunde einer Jungenklasse. „Schwere Windsurfer wie ich kommen kaum rüber“, beklagt Weltmeister Dunkerbeck.

Auch der Wind aus der Steckdose bläst nicht stetig. „Durch die Konstruktion der Halle sind keine stabilen Verhältnisse möglich“, erklärt Robby Seeger. Kaum zu glauben. Da stehen 27 riesige Ventilatoren längsseits des 80 mal 30 Meter großen Swimmingppols, verpulvern an einem Wettkampfabend etwa 14.000 Kilowatt Energie. Und an einigen Stellen des Bassins ist kaum genug Luft, um die Windsurfer ins Gleiten, den Zustand windsurferischer Verzückung, zu bringen. „Schwere Athleten haben deshalb keine Chance, dadurch wird das Leistungsbild ziemlich verfälscht“, krittelt Muskelpaket Seeger.

Und so bestimmen kleinwüchsige Papiergewichte die Hallenkämpfe. „Es ist schon traurig, daß ich den Fans nicht das zeigen kann, was ich wirklich kann. Aber damit muß man hier leben“, sagt Jutta Müller.

Leben müssen die Windsurfer ebenso mit der peinlichen Ökobilanz eines solchen Hallenspektakels. Müll in Massen: Hochglanzprospekte kiloweise, in Kunststoff verschweißtes Fast food. Ignorant verkauft einer der Hauptsponsoren seine Milchgetränke in Plastikflaschen und Kunststoffbechern. Selbst ohne das tägliche Training der Windsurfer zu belüften, verpulvern die Ventilatoren rund 45.000 Kilowatt Strom an diesem Wochenende. Dazu gut zwei Millionen Liter Leitungswasser für den künstlichen Ozean.

Wenn kein Sponsor zuhört, bekennen auch die SurferInnen: „Ein Indoor-Worldcup ist wie ein Besuch beim Zahnarzt. Man muß hin, und ist froh, wenn man schnell wieder draußen ist.“