Ruhe herrscht vor dem Sturm

■ Die Serben Bosniens ziehen Truppen beim Korridor um Brcko zusammen

Tuzla (taz) – Aus der herben Berglandschaft Bosniens kommend, mutet die Tiefebene der Save fast lieblich an. Das Grün der Bäume ist lediglich durchsetzt von dem Grau einiger hochragender Silos, die anzeigen, daß in dieser Region vor dem Krieg die Landwirtschaft florierte. Doch ausgerechnet in dieser fruchtbaren Ebene liegt einer der wichtigsten militärstrategischen Punkte dieses Krieges. Seit April 1992 hat die serbische Seite versucht, einen „Korridor“ durch das mehrheitlich von Muslimen und Kroaten bewohnte Gebiet zwischen dem nordostbosnischen Tuzla und Kroatien weiter östlich zu „schlagen“. Und es gelang den Spezialtruppen der Jugoslawischen Armee aus Belgrad sowie den Soldaten der bosnischen Serben vor genau zwei Jahren, die Straßenverbindung von Belgrad in die serbisch besetzten Gebiete Bosniens und Kroatiens um Banja Luka und Knin zu sichern. Über 30.000 Menschen mußten schon damals aus Brčko fliehen, Hunderte verloren dabei ihr Leben. Heute ist die Stadt weitgehend „muslim- und kroatenfrei“.

An der schmalsten Stelle, nur vier Kilometer breit, ist der Korridor jedoch ein Unsicherheitsfaktor für die Serben geblieben. Denn die bosnische Armee ist selbst mit den ihr zur Verfügung stehenden leichten Waffen in der Lage, die Straße zu bedrohen. Deshalb kam es hier immer wieder zu Offensiven, die letzte erst vor einem Monat, doch die bosnischen Stellungen hielten. An manchen Frontabschnitten liegen sich die Gegner in Sichtweite, manchmal lediglich 50 Meter voneinander entfernt, gegenüber. Nun jedoch ist es seit Tagen hier still gewesen – von kleineren Zwischenfällen abgesehen. Es herrsche „die Ruhe vor dem Sturm“. Denn in den nächsten Tagen wird der Angriff an einer Frontlinie von 35 Kilometern erwartet.

Unterstützen die Kroaten die bosnische Armee?

„Die Serben haben 42 Panzer des Typs T-55 und T-85 in das Gebiet gebracht“, erklärt einer der Kommandeure des II. Korpus der Bosnischen Armee, Hazim Sedić. Doch er lächelt nur, als er nach den eigenen Verstärkungen gefragt wird. Militärisches Geheimnis. Angesichts des weiter bestehenden Waffenembargos können diese jedoch nicht groß gewesen sein. Ein ähnliches Schicksal, wie es den Verteidigern von Goražde beschieden war, wollen sie vermeiden. „Hier sind andere Voraussetzungen, Goražde war abgeschlossen. Sie greifen bisher an zwei Stellen an, direkt am Korridor in Brčko und bei Olovo und Kladanj, um die Straßenverbindung nach Zenica zu unterbrechen. Am Mittwoch letzter Woche konnten wir einen Angriff zurückweisen und einen Panzer zerstören.“ Sedić weist darauf hin, daß die kroatischen Truppen des HVO jetzt, nach der Bildung der Föderation zwischen Kroaten und Muslimen, mit der bosnischen Armee unter einem gemeinsamen Kommando stehen. Dieser Umstand stärke die Möglichkeiten der Verteidigung. Könnte mit dem erneuerten Bündnis zwischen Kroaten und Muslimen gar der Spieß umgedreht werden, indem der serbische Korridor unterbrochen und eine Verbindung zwischen Kroatien und Tuzla hergestellt würde? Der Kommandant schweigt dazu.

In einem Café in dem Städtchen Rahić geben sich angesichts des erwarteten Angriffs drei junge Burschen cool. „Sie sollen nur kommen, wir kriegen sie schon“, meint der eine. Und den anderen scheint lediglich zu interessieren, wie das Fußballturnier ausgehen wird, das zwischen den Teams der Brigaden hier bald stattfinden soll. Doch dann werden sie ernster. „Ich habe einen Heidenschiß vor den Panzern“, bekennt schließlich einer, „wir haben doch immer noch nicht die richtigen Abwehrwaffen.“ An einen Gegenangriff sei kaum zu denken. „Im Oktober 1992 waren wir schon soweit, wir hatten für einen Tag die direkte Verbindung nach Kroatien. Dann aber hat Tudjman den Rückzug der kroatischen Truppen befohlen und den Serben damit die erneute Öffnung des Korridors ermöglicht.“ Immerhin sei das Leben seit der Bildung der Föderation mit den Kroaten Ende März erleichtert worden. „In der Armee haben wir nun keinen Hunger mehr.“ Und sie deuten auf die Zigaretten und das Gösser Bier. „Vorher kostete ein Kilo Mehl 30 DM, ein Kilo Zucker 60 DM, jetzt ist beides für rund 2 Mark zu haben.“

Gelänge die Unterbrechung des Korridors, wären Banja Luka und die serbisch besetzten Gebiete Kroatiens von Serbien getrennt – ein für Milošević und Karadžić undenkbarer Zustand. Der Kampf um Brčko könnte sich zur entscheidenden Schlacht im Krieg entwickeln. Denn wäre Kroatien bereit, hier unterstützend einzugreifen, zwänge dies die serbische Seite, alle verfügbaren militärischen Mittel einzusetzen.

Das weiß auch Brigadegeneral Ridderstad, der stellvertrende Kommandeur der UNO-Truppen in der Region Tuzla. Um eine Entscheidungsschlacht um Brčko zu vermeiden, bliebe nur die Installierung von UNO-Truppen übrig. „Dafür bräuchten wir 10.000 Mann. Doch das sind Spekulationen, ich weiß nichts von diesbezüglichen Diskussionen in den höchsten UNO-Gremien.“ Eines weiß er jedoch sicher: Wenn seine UNO-Truppen angegriffen würden, wäre er bereit, jederzeit zurückzuschießen. Wie am 28. April, als ein Beobachtungsposten und eine dänische Panzerkolonne von serbischer Seite angegriffen wurden. „Damals haben wir zurückgeschossen. Wir werden auch nicht zögern, Luftunterstützung der Nato anzufordern.“ Erich Rathfelder