Pressefreie Schutzzonen für Politiker

■ Eine "Lex Lafontaine" soll heute im Saarland die Politiker gegen die Medien stärken. Und in Bonner Schubladen liegt eine Gesetzesnovelle, die Stasi-Akten für Skandalsucher tabu macht. Eine Strauß...

Eine „Lex Lafontaine“ soll heute im Saarland die Politiker gegen die Medien stärken. Und in Bonner Schubladen liegt eine Gesetzesnovelle, die Stasi-Akten für Skandalsucher tabu macht. Eine Strauß-Schalck-Connection bliebe künftig verborgen.

Pressefreie Schutzzonen für Politiker

Der Schreck sitzt tief bei Bonns Politikern, seit im vergangenen Herbst das Newcomer-Magazin Focus mit einem mehrteiligen Exklusiv-Report unter dem Titel „Der Stasi-Schatz“ aufwartete. Längst vernichtet geglaubte Akten präsentierten die Münchner Journalisten. Angeblich hatten sie diese in der tschechischen Hauptstadt Prag aufgetrieben. Es handelte sich um sogenannte „Zielkontroll-Aufträge“ – Karteikarten der Staatssicherheit, die unter anderem Details über Mitarbeiter bundesdeutscher Geheimdienste oder über die Liebschaften verschiedener Bonner Politiker enthielten.

Alles Informationen, die nach Meinung der Mehrheit des Bundestages in der Öffentlichkeit nichts zu suchen haben. Zweieinhalb Jahre ist das Stasi-Unterlagengesetz (StUG) in Kraft, jetzt soll es so verändert werden, daß ein solcher „Stasi-Schatz“ künftig nicht mehr gehoben werden dürfte.

Die innenpolitischen Experten aus CDU/CSU, FDP und SPD haben sich auf einen neuen Entwurf verständigt (harmloser Titel: „Formulierungsvorschläge“). Noch liegt er in der Schublade, kann aber jederzeit in den Bundestag eingebracht werden.

Die Altparteien wollen vor allem die Strafvorschriften im Stasi- Unterlagengesetz verschärfen. Um einen „Mißbrauch“ der Stasi- Hinterlassenschaft zu verhindern, soll das bereits geltende Verbot der „unbefugten Veröffentlichung“ von Stasi-Informationen über „Betroffene oder Dritte“ durch ein weiteres Verbot ergänzt werden, das der „unbefugten Übermittlung“. Die Strafvorschrift, so heißt es in der Begründung für den Entwurf, soll dahingehend erweitert werden, „daß sie in der praktischen Anwendung auch greift“.

Das Bonner Konsenspapier, das unter Ausschluß von Bündnis 90/Grünen und PDS entwickelt wurde, verfolgt vor allem eines: den Schutz der Politiker und hochrangiger Beamter vor weiteren unbequemen Enthüllungen.

„Informationen über Betroffene oder Dritte“ – das sind all die Daten der früheren Staatssicherheit, die nicht über Stasi-interne Vorgänge oder die eigenen Mitarbeiter erfaßt wurden. Darunter befinden sich jede Menge Dossiers der Stasi über West-Politiker, Protokolle abgehörter Telefonate und immer wieder Spitzel- und Agentenberichte. Die Unterlagen waren das klassische Instrumentarium des untergegangenen Spionage- und Überwachungsapparates der DDR. Vier Millionen DDR-BürgerInnen waren von Mielkes Ministerium erfaßt worden – die fleißigen Spitzel und Spione registrierten über vier Jahrzehnte aber auch Namen und Aktivitäten von rund zwei Millionen BürgerInnen aus der Bundesrepublik. Vorrangig um solche Aufzeichnungen geht es bei den Bonner Plänen. Denn spätestens mit der Veröffentlichung der Focus-Serie dämmerte den Bonner Politikern, daß noch manche publizistische Bombe aus dem Stasi-Nachlaß gefischt werden könnte.

Und unbequeme Enthüllungen gab es in den letzten Jahren reichlich. Belegt wurde anhand der Stasi-Akten etwa die grenzüberschreitende dubiose Strauß- Schalck-Connection; man erfuhr, wie sich westdeutsche Politiker bei ihren DDR-Besuchen gegenüber ihren Gastgebern benahmen; aber auch Journalisten, die nach kompromittierenden Details aus dem Privatleben prominenter Politiker suchten, wurden in den Stasi-Akten fündig.

Vor all dem sollen Politiker jetzt mit der Novellierung des Paragraphen 44 im Stasi-Unterlagengesetz geschützt werden. Während in der geltenden Fassung ausdrücklich nur die nicht autorisierte Veröffentlichung von „personenbezogenen Informationen über Betroffene oder Dritte“ unter Strafe gestellt wird (bis zu drei Jahre Haft), soll nach dem Willen der Novellierer allein schon die Weitergabe solcher Informationen mit dem gleichen Strafmaß verfolgt werden können.

Strafbar soll außerdem nicht nur das Veröffentlichen im Wortlaut sein, sondern auch die sinngemäße Wiedergabe des Inhalts von Stasi-Akten. Der Maulkorb wäre damit perfekt.

Schon einmal, im Gesetzgebungsverfahren des Stasi-Unterlagengesetzes im Herbst 1991, hatten die Bonner Politiker parteiübergreifend versucht, unbequemen Recherchen im Mielke-Nachlaß einen Riegel vorzuschieben. Die damalige Absicht, eine Veröffentlichung von Informationen aus Stasi-Unterlagen an die Erlaubnis der Gauck-Behörde oder des Innenministeriums zu koppeln, war aber am breiten Protest der Journalisten- und Verlegerverbände gescheitert. Das hindert aber niemanden in Bonn, jetzt noch einmal einen zweiten Anlauf zu versuchen. Verlegerverbände und Journalistengewerkschaften waren an der Abfassung des neuen Entwurfs nicht beteiligt. Von den geplanten Gesetzesänderungen erfuhren auch sie erst durch die Medien. In einem Schreiben an den Vorsitzenden des Bonner Innenausschusses, Gottfried Bernrath, monierte daraufhin der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger nicht nur das „bedenkliche Verfahren“, sondern auch verfassungsrechtliche Bedenken: Die Gesetzesänderung bedeute eine „bedenkliche Einengung der Pressefreiheit“.

Bündnis 90/Grüne wollen den Entwurf jetzt wenigstens entschärfen. Analog zu den Bestimmungen des Bundesarchivgesetzes möchte die Partei durchsetzen, daß eine Veröffentlichung dann nicht verboten ist, wenn es sich um „personenbezogene Informationen über Personen der Zeitgeschichte in Ausübung ihres Amtes“ handelt. Doch das wollen die Altparteien ja gerade verhindern. Wolfgang Gast