Bikini als Maß der Dinge?

■ Was Diäten versprechen, kann eine veränderte Lebenseinstellung einlösen

„Herzlichen Glückwunsch! Heute beginnt Ihr Weg zur schlankeren Linie“, begrüßt meine Fertig-Diät ihre Abnehmerin. „Vier komplette, schmackhafte Portionen“ werden versprochen, eine Diät, die „wirklich schmeckt“, „abwechslungsreich“ ist und „alle wichtigen Nährstoffe“ enthält. Mit einem munteren „Los geht's!“ sieht sich die Test-Abspeckerin entlassen - in drei öde Tage voller fader Fit-Kost.

Diese, nicht ganz billige Tütendiät - immerhin bis zu 64 Mark müssen für die Drei-Tages-Ration auf den Apothekentresen geblättert werden - ist eine von vielen, die mit der schnellen Erlösung vom Winterspeck locken. „Drei Kilo in drei Tagen“, „27 Pfund in neun Wochen“, schlank, schön, fit, lebenslustig - tönt es verheißungsvoll, und nun muß der abnehmwillige Mensch nur noch das jeweils beworbene Produkt kaufen, schon schmelzen, mit Genuß wohlgemerkt, die Pfunde, der Bikini, selten die Badehose, paßt wieder, frau/man ist akzeptiert, erfolgreich und will in Zukunft so bleiben, wie sie ist.

Die kurzen und - selbst wenn nur geschmacklich - einseitigen Kuren sind ErnährungswissenschaftlerInnen suspekt, nicht erst seit heute. Sie verweisen auf den sogenannten Jojo-Effekt: Erhält der Körper weniger Kalorien, stellt er sich automatisch auf den geringeren Verbrauch ein. Wird nach Ende der Diät wieder normal gegessen, kommen auch die Polster wieder, schneller als zuvor. Kurz und knapp: Solche Diäten machen dick. Regelrecht gefährlich sind für die WissenschaftlerInnen die Radikal-Kuren. Ist die ausreichende Zufuhr von Vitaminen und Mineralstoffen durch häufiges Diäten nicht gesichert, kann das im Extremfall zu Stoffwechsel- oder Eßstörungen führen. Der Hamburger Ernährungswissenschaftler Michael Hamm hält sogar eine tägliche Nahrungszufuhr von weniger als 1500 Kilokalorien für schädlich, da dann die sichere Nährstoffversorgung kaum mehr möglich sei. Viel trinken, viel Bewegung, reichlich Eiweiß und Ballaststoffe empfiehlt Professor Hamm all denen, die „ohne gesundheitliche Belastung abnehmen“ möchten. Und da er dies im Auftrag der „Centralen Marketinggesellschaft der deutschen Agrarwirtschaft mbH“ tut, wird natürlich Fleischernes als „wichtiger Nährstofflieferant“ gepriesen, „optimal für eine Reduktionskost“ geeignet.

Ganz uneigennützig sind auch die Diät-Tips nicht, die vom Medien- und Pressedienst „Gesund & fit aktuell“ verbreitet werden. Zwar wird auch hier von „Gewaltkuren“ abgeraten, „weniger Zigaretten, Alkohol und Süßes; viel Rohkost“ und „ein vernünftiges Fitnesskonzept“ werden statt dessen empfohlen - doch „als diätunterstützendes Getränk“ dient sich der „aus Südamerika stammende Mate-Tee“ an. Das Ganze unter der bänglichen Überschrift „Wenn der Bikini nicht mehr paßt“, und dieses Badekostüm scheint sowieso als Maß der Dinge anerkannt. Selbst das Bürgerhaus Wilhelmsburg wirbt für seine zwölfwöchige Veranstaltung „Erfolgreich und dauerhaft Abnehmen durch Tiefenentspannung“ mit dem Schreckgespenst Winterspeck, der unschön aus der Badehose quillt. Ganz, als hätte es so kritische Publikationen wie die Anti-Diät-Bücher,die immerhin seit reichlich zehn Jahren auf dem Markt sind, nie gegeben.

Daß sich doch einiges getan hat, zeigen andere Institutionen. Die wenigen Diät-Kurse der Volkshochschule stehen unter dem Motto „Sich annehmen - abnehmen“, bei einem Verhältnis von sieben zu einundzwanzig überwiegen hier zudem deutlich die Seminare zur gesunden Ernährung. „Lernen Sie Ihre Schokoladenseite lieben“, fordert zum Beispiel die DAK. „Anstatt mit Topmodels um die Wette zu hungern, sollten Sie sich lieber fragen, ob die kleinen Pölsterchen wirklich so schrecklich sind.“

Ein Konzept, das Claudia Cardinal noch nicht weit genug geht. Für die Hamburger Heilpraktikerin und Ernährungsberaterin ist der ganze Diäten-Wahn ein so komplexes und wichtiges Thema, daß es sich kaum in einigen Sätzen behandeln läßt. Gestörtes Eßverhalten, sagt sie, sei „definitiv ein Problem der 1. Welt“. „Sie müssen sich das mal vorstellen: Wir sitzen am überreich gedeckten Tisch und verhungern.“ Ändern ließe sich dies nur durch eine andere Einstellung zum Leben überhaupt. Denn, so fügt sie nachdenklich hinzu: „Ich glaube, daß die Lust auf Essen nichts anderes ist als eine Gier nach Leben.“

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