Staub und Chrom

■ „Metalcholica“ von Lea Anderson bei „Junge Hunde im Mai“ auf Kampnagel

Die Sehnsucht zielt auf Freiheit, Freundschaft und rekordverdächtige Pferdestärken unterm Sattel. Zwischen Himmel und Erde lockt auf staubigen Landstraßen und Autobahnen das Abenteuer: Männermythen, die vom Western bis zum Roadmovie Kinogeschichte gemacht haben - bis dann, spätestens mit Thelma und Louise auch Frauen anfingen, sich am motorisierten Aussteigertrip zu berauschen.

Auch die britische Choreographin Lea Anderson ließ sich vom Thema inspirieren. Mit ihrer Tanz-Theater-Compagnie The Cholmondeleys setzte sie eine ganz spezielle Variante des Genres in Szene: den Kult um blitzendes Chrom, Lederkluft und schwere Maschinen, den Lebenstraum vom „großen Ritt“ - auf dem Motorrad. Mit Metalcholica, ihrer jüngsten Produktion, gastierte Anderson am Dienstag beim Festival der Nachwuchsregisseure „Junge Hunde im Mai“ auf Kampnagel.

Was dabei gleich ins Auge springt: Es sind sieben Frauen, die da eine Leidenschaft feiern, welche sonst vorwiegend männlich besetzt ist. Eine leichte Irritation des herkömmlichen Images, und auch wieder nicht. Denn Härte, Risiko und Tempo sind auch hier gefragt. Am unmißverständlichsten äußert sich das in der Musik: kompromißloser Heavy-Metal-Sound von ohrenbetäubender Lautstärke, gespielt von einer Live-Band. Aber Heavy-Metal und Tanztheater - geht das denn überhaupt zusammen?

Es geht. Und es ist eine Lust, dabei zuzusehen. Fast wie routiniertes Aufwärm-Training wirken die immer wieder neu kombinierten, kraftvollen Figuren, oder wie eine Erprobung unterschiedlichster Körperkontakte, paarweise oder einzeln. Ein Austesten von Kraft und Anmut in flüchtigem Spiel von Gruppierungen, die sich wieder auflösen. Echte Steppenwolfmentalität, die The Cholmondeleys gelungen stilisieren, derweilen die Bühne mal von greller Mittagssonne beschienen, mal in vergoldendes oder nachtblaues Stimmungslicht getaucht wird. Möglicherweise ist das Stück auch als Gleichnis anzusehen, mit dem die Tänzerinnen ihr eigenes Wandervogeldasein darstellen? Immerhin feiert die Truppe mit Metalcholica gleichzeitig ihr zehnjähriges Jubiläum .

Doch es geht auch um Erwartungen, Hoffnungen, oder nicht zuletzt auch um die schier endlosen Rituale der Fahrtenvorbereitung. Und schließlich geben sich die tanzenden Motor-Bikerinnen schwindelerregendem Geschwindigkeitsrausch hin. Dann ist, bei heftigem Applaus, alles schon vorbei. Am hinteren Rand der Tanzfläche blinken grün-rot noch einige winzige Lämpchen weiter - der augenzwinkernde Abschiedsgruß einer stolzen Honda am Horizont.

Dorothea Schüler