Kampfansage an den „Chaos-Chor“

■ DAG-Umfrage: Kassierer und Verkäuferinnen gegen späten Ladenschluß Von Kai von Appen

Die 70.000 Beschäftigten des Hamburger Einzelhandels lehnen einen späteren Ladenschluß kategorisch ab. Das ergab eine repräsentative Umfrage der Deutschen Angestelltengewerkschaft (DAG) unter 7200 VerkäuferInnen. Danach plädieren über 91 Prozent aller Befragten für die Beibehaltung des derzeitigen 18.30-Uhr-Ladenschlusses. DAG-Sprecher Dieter Bischke-Pergande: „Wir werden alle Angriffe auf das Ladenschlußgesetz abwehren, notfalls als letztes Mittel mit Streik.“

An Eindeutigkeit lassen die Ergebnisse der Befragung in den Kaufhäusern, Supermärkten und Fachgeschäften nichts zu wünschen übrig: 84 Prozent halten eine Ausdehnung der Arbeitszeit für „familienfeindlich“, und über 80 Prozent plädieren selbst dann gegen eine Verlegung der Öffnungszeiten in den späten Abend hinein, wenn lukrative Zuschläge gezahlt würden. Zwei Drittel der Kaufhaus-VerkäuferInnen würden ohnehin am liebsten das Rad der Geschichte zurückdrehen und den langen Donnerstag wieder abschaffen.

Auch wenn die Ladenschlußdebatte derzeit verstummt ist, geht Bischke-Pergande davon aus, daß nach der Bundestagswahl der „Chaos-Chor der Ladenschluß-Deregulierer“ wieder angestimmt werde. Dabei sind die Pläne selbst im Unternehmerlager umstritten. So stellten jüngst die Mittelständler fest, daß der lange Donnerstag zur „Selbstausbeutung“ geführt habe, die Kundenströme aber an ihnen vorbeigeflossen seien. Bestenfalls große Kaufhäuser und Supermärkte auf der Wiese mit großen Parkplätzen profitierten partiell vom langen Donnerstag. Für die Mittelständler werde der Wirtschaftsstandort Bundesrepublik nicht an Konkurrenzstärke verlieren, nur weil ein „paar jung-dynamische Unternehmerinnen“ nicht bis 22 Uhr einkaufen könnten.

Auch die DAG-Betriebsräte haben nach vier Jahren langem Donnerstag nur Negatives zu berichten. Beispiel Eimsbüttel: In der Osterstraße hatten anfangs 100 Geschäfte mitgemacht. Karstadt Betriebsrat Richard Schürmann: „Jetzt stehen wir allein auf weiter Flur.“ Zusätzlichen Umsatz und vermehrte Kundschaft hätten die verlängerten Öffnungszeiten nicht gebracht. Schürmann: „Wir stehen auf der Schattenseite der Gesellschaft, die Gutverdienenden auf der Sonnenseite. Und wir sollen dann noch schlechtere Arbeitsbedingungen in Kauf nehmen, dafür, daß die Wohlhabenden spät einkaufen können.“ Denn am langen Donnerstag würden kaum Gebrauchsutensilien gekauft, sondern allenfalls einige Gourmet-Artikel und Edelklamotten. Schürmann: „Einen teuren Pelzmantel um 22 Uhr zu kaufen, das mag einen gewissen Reiz haben.“

Tatsächlich stehen die VerkäuferInnen in der Verdienstskala ganz unten. Eine junge Kaufhausmitarbeiterin verdient nach sechs Berufsjahren lediglich 3060 Mark brutto. Zu ihrem Job gehören anstrengende Arbeitsbedingungen (Streß, Kunstlicht), langes Stehen (auf Wunsch vieler Vorgesetzter möglichst in unbequemen Klamotten oder hochhackigen Schuhen) sowie sozial kontra-kommunikative und familienfeindliche Arbeitszeiten. Und wie gesagt: Immer chic, nett, adrett und freundlich sein.

Der erwünschte Arbeitsplatzschub ist laut DAG ebenfalls ausgeblieben. Im Gegenteil: So berichten viele Betriebsräte, daß bei längeren Öffnungszeiten verstärkt sozial nicht abgesicherte Teilzeitkräfte eingesetzt würden, die Stammbelegschaft jedoch abgebaut werde. Betriebsrat Klaus Bergmann: „Früher hatten wir 20 Prozent Teilzeitkräfte, jetzt sind es über 50 Prozent.“ Karstadt-Harburg-Betriebsrat Michael Richter ergänzt: „Es werden voll diese 520-Marks-Kräfte eingesetzt.“ Auch Richter hält schon den langen Donnerstag für überflüssig. „Ab 19 Uhr kommen kaum noch Kunden. Warum soll ich rumstehen, ich hab' privat was Besseres zu tun, als im Laden Däumchen zu drehen.“