Diskussion um die chemische Keule

■ Obwohl Antibiotika bei schweren Erkrankungen nach wie vor unverzichtbar sind, sollten alternative Heilmethoden mehr ausgeschöpft werden / Bei einer Reihe von Bakterienstämmen werden wachsende...

Als Sir Alexander Fleming im Jahre 1928 zufällig entdeckte, daß der Schimmelpilz Penicillium notatum eine wachstumshemmende Wirkung auf die gefürchteten Krankheitserreger Staphylokokken hat, war das die Initialzündung zu einer Revolution in der Medizin. Bald darauf konnte Penicillin als Medikament eingesetzt werden. Eine neue Wunderwaffe gegen die tödlichen Krankheiten des 19. Jahrhunderts, ein Mittel gegen Diphterie, Lungenentzündung, Milzbrand und Tuberkulose war gefunden.

Einst als Allheilmittel gepriesen, werden Antibiotika inzwischen mit Vorbehalten betrachtet. Denn zum einen haben Antibiotika auch unerwünschte Wirkungen, da sie nicht nur den krankheitserregenden Bakterien den Garaus machen, sondern auch nützliche abtöten können. Und zum anderen sind Bakterien enorm anpassungsfähig. Innerhalb kurzer Zeit können sie Resistenzen entwickeln, die das jeweilige Antibiotikum zunächst wirkungslos machen. Deshalb sind die Bakterientöter ins Kreuzfeuer der Kritik geraten: „Antibiotika – das Ende der Wundermedizin“, orakelte die amerikanische Zeitschrift Newsweek: Eine Vision von hilflosen Ärzten, die angesichts wachsender Resistenzen der Bakterienstämme den besiegt geglaubten Infektionskrankheiten machtlos gegenüberstünden.

„Das Problem wird in den Medien überbetont“, kritisiert Bernd Wiedemann, Professor für Mikrobiologie an der Universität Bonn, der sich seit den siebziger Jahren mit der Entwicklung von Resistenzen beschäftigt. „Von einer generellen Zunahme der Resistenzen gegenüber Antibiotika kann man nicht so einfach sprechen.“ Zwar gebe es in Entwicklungsländern und in bestimmten Gebieten der USA beachtliche Probleme mit Tbc-Resistenzen. Und auch hierzulande haben sich nach Untersuchungen des Bundesgesundheitsamtes bei einzelnen Bakterienstämmen starke Resistenzen entwickelt, beispielsweise bei Streptokokken, den Erregern von Mandelentzündungen. Im internationalen Vergleich steht Deutschland nach der Einschätzung Wiedemanns jedoch recht gut da. Die Resistenzraten sind in Frankreich, Spanien und den osteuropäischen Ländern, wo Antibiotika teilweise ohne Rezept erhältlich sind, höher als in Deutschland. Zudem sind die hygienischen Verhältnisse in deutschen Krankenhäusern relativ gut, so daß die Möglichkeit einer Übertragung von resistenten Bakterien zwischen Patienten reduziert wird.

Resistenzen sind vor allem ein Problem der Intensivstationen. Dort liegen besonders geschwächte Patienten, die vor Keimen, die für gesunde Menschen harmlos sind, mit Antibiotika geschützt werden müssen. Auf manchen Stationen sind daher bis zu vierzig Prozent der Keime resistent. „Zudem sind die Patienten durch die Immunsuppression anfälliger für Infektionen geworden als früher“, sagt Wiedemann.

„In der Regel gibt es genügend alternative antibiotische Präparate, um Resistenzen begegnen zu können“, meint Tom Schaberg, Oberarzt der Abteilung Infektiologie und Immunologie am Berliner Krankenhaus Heckeshorn. „Wenn aber durch den europaweiten Einsatz wachstumsfördernder Antibiotika in der Tierzucht Resistenzen beim Menschen in größerem Umfang entstehen sollten, könnte es problematisch werden.“

Durch die Diskussion um die wachsenden Resistenzen seien die Ärzte verunsichert, meint Bernd Wiedemann. Dies liege auch an den Schwierigkeiten einer richtigen Diagnostik bei einer Antibiotikatherapie. „Es ist nicht immer leicht zu entscheiden, ob es sich um eine virale Infektion handelt, bei der der Einsatz von Antibiotika sinnlos wäre, oder um eine bakterielle.“ Die Ausbildung der Ärzte, so die Kritik aus Fachkreisen, läßt zu wünschen übrig: Die Infektiologie wird vernachlässigt. 282 antibiotische Substanzen, etwa hundert verschiedene Wirkstoffe zählt allein die rote Liste, das Verzeichnis aller in Deutschland zugelassenen Arzneimittel. Nicht immer wird eine der Krankheit angemessene Antibiotikatherapie, die ein passendes Wirkungsspektrum abdeckt und möglichst wenig Nebenwirkungen hervorrufen soll, verordnet.

Manch ein Arzt greift zu schnell zur chemischen Keule. „Die Möglichkeiten der Selbstheilungskräfte des Körpers sollten weit mehr ausgekostet werden“, meint Roland Bersdorf von der Berliner Ärztekammer. „Doch manch ein Arzt möchte auf Nummer Sicher gehen und verschreibt deshalb schon mal ein Antibiotikum, wenn es noch nicht notwendig ist.“ Bersdorf rät den Patienten, im Zweifelsfalle genau nachzufragen und gegebenenfalls den Arzt zu wechseln.

Der Verzicht auf Antibiotika am Anfang einer Therapie verlangt engen Kontakt zum Patienten. Nur so kann der Krankheitsverlauf ausreichend überwacht werden. Denn bleiben andere Methoden wirkungslos, muß man rechtzeitig ein Antibiotikum verordnen, damit Organschäden verhindert werden.

Gerade wegen der hohen Anpassungsfähigkeit der Bakterien und der Gefahr von Unverträglichkeiten sollte man alternative Methoden mehr ausschöpfen, meint Malte Bühring, Professor für Naturheilkunde an der FU Berlin. Dazu gehören die Stärkung körpereigener Abwehrkräfte, eine gesunde Ernährung und ein normales Körpergewicht. Auf keinen Fall sollte jedoch ein Patient, dem Antibiotika verschrieben wurden, sie auf eigene Faust dosieren oder absetzen, denn gerade das könne zu Resistenzen führen. „Bei schweren Infektionskrankheiten“, sagt Bühring, „ist der Einsatz von Antibiotika unerläßlich. Alles andere ist Ideologie.“ Anja Dilk