Wo kein Rahmen ist, wird er gesteckt

Teach-in zum Denkmal für die ermordeten Juden Europas: Eine Mischung aus Betriebswirtschaftsseminar und großer Unsicherheit / Ignatz Bubis will kein Denkmal, sondern bevorzugt Gedenkstätte  ■ Von Thorsten Schmitz

Damit hatte nun wirklich niemand gerechnet. Und entsprechend verzweifelt, zuweilen auch richtig wütend reagierten die Frauen und Männer der Jury. Im Oktober werden sie den „in sich schlüssigsten“ Entwurf für ein Denkmal benennen, das den ermordeten Juden Europas gewidmet ist. Doch bis dahin sind noch fünf Monate Zeit – und viele Fragen offen. Fragen, die am Mittwoch ein Kolloquium im Haus der Kulturen der Welt klären sollte.

400 Künstler und Architekten aus allen Teilen Deutschlands waren zum vierstündigen Teach-in angereist; inzwischen haben 1.220 die Wettbewerbsunterlagen erhalten oder angefordert.

Den Jurorinnen und Juroren, darunter die blitzgescheite Fernsehjournalistin Lea Rosh, Historiker Eberhard Jäckel und der Frankfurter Architekt Salomon Korn, konnten streckenweise ihre Fassungslosigkeit nicht verbergen. Zu oft glich das Kolloquium einem Grundkurs in Betriebswirtschaft, erstes Semester. Über eine Stunde löcherten Teilnehmer die Jury nach finanziellen Aspekten.

Weshalb darf das Denkmal „nur“ 16 Millionen Mark kosten, wo doch für jeden Museumsneubau ein Zehnfaches dessen hingeblättert wird? Warum muß den Wettbewerbsarbeiten ein grober Kostenplan beigefügt sein? Woher soll ein Künstler wissen, wie teuer Brückenbogen sind? Kann das Denkmalsareal am Pariser Platz – 20.000 Quadratmeter – erweitert werden? Enthalten die 16 Millionen Denkmals-Mark laufende Betriebskosten? Ist es nicht ungerecht, daß zwölf internationale Künstler – unter ihnen Rebecca Horn, Richard Serra, Jannis Kounellis – eingeladen wurden, mitzuentwerfen, und das auch noch mit 50.000 Mark entlohnt wird?

Schneidend kategorisch suchte Lea Rosh die Fragerei in die richtige Richtung zu kanalisieren: „Ich kann ja verstehen, daß Sie gerne 30 oder 40 Millionen Mark verbuttern und die Geländegröße verdreifachen wollen. Aber ich finde 16 Millionen Mark ziemlich viel, besonders in dieser Zeit. Und wir haben jahrelang gekämpft, um ein Areal an dieser Stelle zu kriegen.“

Tatsächlich hätte es der Förderkreis, der seit 1988 für dieses Denkmal antechambriert und Spenden sammelt, es „am liebsten gesehen“, wenn nur die zwölf Künstler am Wettbewerb teilnähmen. Da aber die Bundesregierung mit auslobt und sie darauf bestand, einen öffentlichen Wettbewerb auszuschreiben, mußte der Förderkreis sich diesem Diktum fügen.

Oft wurde am Mittwoch deutlich, daß die Wettbewerbsbedingungen die Teilnehmer arg verunsichern. Ihnen ist völlig freigestellt, ob und wie sie eine Skulptur oder Gedenkstätte errichten, figurativ, erzählend oder landschaftlich denk- und mahnmalen. Doch immer wieder versuchten Teilnehmer, die Präferenzen der Jurymitglieder auszuloten.

Salomon Korns Appell – „Verlassen Sie sich auf Ihre eigene Idee! Haben Sie keine Angst vor der Freiheit!“ – verhallte. Wo kein Rahmen ist, muß er gesteckt werden.

Arie Rahamimoff etwa, Stadtplaner aus Tel Aviv, würde es „begrüßen“, wenn Wettbewerbsteilnehmer das Ensemble aus Reichstag, Hitlers Fahrerbunker und Brandenburger Tor „berücksichtigen“ würden. Eberhard Jäckel bat, nicht zu vergessen, daß von den etwa sechs Millionen ermordeter Juden zwei Prozent aus dem damaligen Deutschen Reich kamen und 98 Prozent aus anderen europäischen Ländern. „Hitler wollte alle Juden umbringen, darin liegt die Einzigartigkeit des nationalsozialistischen Antisemitismus.“ Die „europäische Dimension“ möchte Jäckel im Denkmal spiegeln sehen, denn: „Die Täter waren Deutsche, die Opfer europäische Juden.“

Lea Rosh berichtete, sie habe annähernd 300 Veranstaltungen zum Mord an den Juden mitmachen dürfen; jedesmal tauchten dieselben Wissenslücken auf. Viele Konzentrationslager befanden sich zwar auf deutschem Boden, planmäßig vernichtet aber, so Rosh, wurde in polnischen Lagern wie Auschwitz oder Treblinka. Das Denkmal soll nach ihrem Willen „schon ein bißchen Wissen vermitteln“. Vielleicht, dachte sie laut nach, „für jedes Land einen Raum?“ Auch Ignatz Bubis, der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, hat Vorstellungen von diesem Denkmal. Bubis hielt auf Wunsch von Bausenator Nagel (SPD) die Eröffnungsrede und sprach unverblümt von „Mahnmal/Gedenkstätte“, denn Denkmal „ist mir nicht genug. Davon haben wir schon so viele.“ Bubis erfreut es außerdem, daß Nicht- Juden die Initiative für einen Ort der Erinnerung ergriffen hätten. Schließlich sei es nicht Sache der Opfer, für die Opfer ein Mahnmal zu errichten.

Der Förderkreis hat sich dazu verpflichtet, acht Millionen Mark Spenden zu sammeln. Der Grund: So viele Deutsche wie möglich sollen sich am Denkmal beteiligen und keine großen Unternehmen. Spenden auf das Konto 320.000.0004 bei der Grundkreditbank e.G. Berlin, BLZ 101 901 00.