Menschen wie du bzw. ich: Verreisinger Von Claudia Kohlhase

Es gibt Zeiten, da muß verreist werden. Kein Mensch weiß genau, warum, aber verreist werden muß. Vielleicht, weil einfach die Ferne so laut ruft, daß man sein eigenes Wort nicht mehr versteht. Und jetzt geht es bei einer Reise natürlich darum: wohin! Und die Welt ist natürlich groß – im Grunde zutiefst unübersichtlich.

Da geht's schon los, womit überhaupt gefahren werden muß und ob das Ziel auf einen zukommen soll oder wir lieber auf das Ziel. Im Flugzeug kommt einem ja alles entgegen, vor allem die eigene Flugangst. Im Zug zieht's dafür, und beigefarbene Zeit-Leser hauen einem ihre Nachdenklichkeit um die Ohren sowie Unternehmer ihre Schnappverschlüsse. Im Bus wird einem schlecht oder dem Nebenmann. Bleibt eventuell das Fahrrad, aber die meisten haben keinen Hilfsmotor für anhaltende Schieflagen. Das also alles nicht. Und das eigene Auto ist auch zu schade, nachher ist irgendwo Straßenglätte oder Aquaplaning, und schon sitzt man drin und ist hin. Im Endeffekt bleiben nur noch die persönlichen Füße übrig, womit man zum Beispiel Wanderwege auf Hügelrücken durchlaufen könnte, wenn manche Hügel nicht so steil wären. Sonst könnte man mit seinen Füßen auch noch durch Städte laufen, etwa Paris, aber da ist nachher das Pflaster so heiß, daß man Brandblasen davonträgt. Vom Eiffelturm ganz zu schweigen, zu viele Treppen, und mit dem Aufzug kann schon gar nicht gefahren werden, weil wohin solange mit dem Höhenkoller? Hat da jemand Amsterdam gesagt? Zu wäßrig. Da könnte man ja gleich nach Venedig fahren. Wie man sieht, bleibt langsam nicht mehr viel übrig, außer vielleicht Honolulu, Posemuckel und Travemünde, aber da ist schon meine Tante. Also in Travemünde. Weil es da nicht so heiß ist, wie sie gerade gestern schrieb, aber augenblicklich sei es doch etwas kühl und könnte ruhig ein bißchen wärmer werden. Eben bloß nicht so heiß. Das sei auch nichts für den Onkel, der mit dicken Beinen zu tun habe. Gegen Posemuckel wiederum spricht, daß es einerseits zu weit, andererseits zu nah ist. Und bei Honolulu weiß man nie so recht, was man dazu anziehen soll. Vielleicht ist die Zeit ja auch reif für Bad Soden, Bad Ems, Bad Oeynhausen oder Badgastein, wo ungarische Kurorchester Kurparks mit Johann Strauß bestreichen. Aber da treten einem nun wieder zu viele Pfauen auf die Füße und wollen Sandtorte ab. Oder man erhält im Thermalbad einen Schwindelanfall, weil man so lange Ringelpitz mit alten Damen schwimmen muß. Und wehe der, die in Gegenrichtung krault. Immerhin stechen draußen verläßlich rote Rosen in die Luft. Das gilt jedenfalls für Bad Oeynhausen.

Fehlt noch was? Natürlich. Lappland, Estland, Holland. Oder mein Balkon. Aber da möchte ich doch alle sehr bitten, nicht gerade dahin zu fahren. Da sind nämlich schon welche. Wie man längst sieht, ist die Reiseplanung von einer enormen Riskanz und Kniffligkeit: Es gibt einfach zuviel zu bedenken. Vor allem, was alles eintreten kann bzw. was alles gerade nicht. Eventuell könnte man auch erst mal losfahren und dann mal sehen. Aber exakt jetzt passiert's: Man merkt mit Grausen, daß die Gegend genau richtig ist, bloß sonst nichts, hauptsächlich man selbst. Und dann? Dann steht man da. Und hat das dann davon.