■ Clintons kruder Feldzug gegen die Kriminalität
: Baseball und Kommunitarismus

Im Idealzustand sollen Sport und Politik sowenig miteinander zu tun haben wie Staat und Kirche. Dieser hehre Grundsatz hält weder die Kirche davon ab, sich in die Angelegenheiten des Staates einzumischen, noch die Politiker, zwecks populistischer Polierung ihrer Programme aus den Regelheften des Sports zu klauen. „Three Strikes and You're Out“ heißt der neueste Slogan, der aus dem Baseball stammt und nun zum neuen Kreuzzug gegen das Verbrechen gerufen wird. Gemeint ist jene Passage der crime bill, des umfangreichen Gesetzespakets zur Kriminalitätsbekämpfung, das eine lebenslange Freiheitsstrafe für alle jene Delinquenten vorschreibt, die zum dritten Mal wegen eines Gewalt- oder Drogendelikts verurteilt werden. Das Gesetz enthält noch einiges mehr: eine Ausweitung der Todesstrafe auf über fünfzig Delikte; 15 Milliarden Dollar für den Bau von Gefängnissen und boot camps (Drill-Lager für jugendliche Straftäter) sowie zur Bezahlung von 100.000 zusätzlichen Polizisten. Für Präventions- und Rehabilitationsprogramme sind noch etwa 8 Milliarden Dollar übrig.

Bürgerrechtler und all jene, die sich sonst noch mit dem Prädikat „liberal“ schmücken, schlagen die Hände über dem Kopf zusammen. Clinton, war das nicht der, der soziale Ungleichheit abbauen, die Ökologie mit der Ökonomie verheiraten und das Gesundheitswesen reformieren wollte? Warum beherrscht jetzt das Thema Kriminalität die öffentliche Debatte und nährt eine Law-and-order-Hysterie, obwohl das FBI wie schon in den Jahren zuvor einen Rückgang der Kriminalitätsstatistiken gemeldet hat? Die gegenwärtige Law- and-order-Hysterie hat Clinton selbst mit initiiert, als er Anfang dieses Jahres in seiner Ansprache an die Nation den „Kampf gegen das Verbrechen“ zur innenpolitischen Priorität und „Three Strikes and You're Out“ zu einer „harten und klugen“ Lösung erklärte. Darauf reagierte der Kongreß mit einer stehenden Ovation von 22 Sekunden Dauer – und der Präsident wußte, daß er die richtige Saite angeschlagen hatte.

Nun kann es gerade für einen Vertreter der Demokratischen Partei in den USA böse politische Konsequenzen haben, wenn er bei der Verbrechensbekämpfung in den Ruch eines liberal softie gerät. Trotzdem fragt man sich, wie ein erwiesenermaßen überdurchschnittlich intelligenter sowie juristisch versierter Präsident zu solch hanebüchener Stammtisch-Rhetorik greifen kann – es sei denn, er hat ein taktisches Ziel.

Womit bei der Suche nach Motiven das erste schon gefunden wäre: Die crime bill und die von Clinton versprochene „Abschaffung der Sozialhilfe, wie wir sie kennen“ – zwei Schlagworte, bei denen die Augen eines jeden Konservativen zu leuchten beginnen –, sind als Verhandlungsmasse gedacht, um bei der Diskussion um die Neugestaltung des Gesundheitswesens genügend Stimmen von Republikanern und rechten Demokraten sicherzustellen. Clinton will allerdings mehr als nur taktieren: Er möchte die symbolische Verwandlung seiner Person – aus dem „Slick Willie“, der durch die „Whitewater“-Affäre und zuletzt durch eine Strafanzeige wegen sexueller Belästigung immer wieder in schiefes Licht geriet, soll ein Präsident mit Autorität und Führungskraft werden. Einer, der sich dem moralischen Verfall der Gesellschaft durch Jugendgewalt, Kollaps der Familie, Teenagerschwangerschaften und Drogenkonsum mit einem neuen Rezept entgegenstemmt: einer Mischung aus reaktionären Law-and-order-Methoden, liberalen Präventions- und Rehabilitationsprogrammen und kommunitaristischer Rhetorik.

Zur Bekämpfung eines größeren Übels, in diesem Fall der Gewaltkriminalität, muß der einzelne die Beschneidung seiner eigenen Rechte in Kauf nehmen – so lautet die Devise des selbsternannten Kommunitarismus-Papstes Amitai Etzioni, zu dessen Gesprächspartnern auch die Clintons gehören. Was Etzioni für viele im aufgescheuchten linksliberalen Spektrum in den USA und in Europa so attraktiv macht, ist dessen Konstruktion des Konsenses der community. Es ist demnach nicht der Staat, der sich einfach Kompetenzen und Macht nimmt, sondern die Gemeinschaft aus Bürgern, die sie ihm freiwillig überträgt – und als Gegenleistung saubere und sichere Straßen erhält.

Auf diesen kommunitaristischen Wunschträumen beruht unter anderem die Faszination, die offenbar viele Amerikaner für den Stadtstaat Singapur hegten, als dort an einem 18jährigen Landsmann wegen „Vandalismus“ die Prügelstrafe vollzogen wurde. Vor allem in der TV-Berichterstattung erschien Singapur des öfteren als kommunitaristisches Paradebeispiel: ein Zusammenschluß von Bürgern, die auf bestimmte rechtsstaatliche und zivilisatorische Errungenschaften gegenüber dem Staat verzichten und dafür „Ruhe und Ordnung“ genießen.

Wer jedoch auf der community- Wolke schwebt, der ignoriert den Umstand, daß es die am stärksten von Diskriminierung betroffenen Gruppen in der Gesellschaft sind, die auch noch ihre Rechte abtreten sollen. Zum Beispiel die Bewohner der staatlichen Sozialbaukomplexe, die nach Vorschlag der Clinton-Administration in Zukunft in ihren Mietverträgen eine Klausel unterzeichnen sollen, die der Polizei jederzeit Zutritt in ihre Wohnungen gestattet. Wer sich einmal die Zustände in manchen dieser Bauten angesehen hat, der kann nachvollziehen, warum Menschen auf ihre Bürgerrechte verzichten, wenn ihnen dafür mehr Schutz vor Gewalt durch Gangs und Drogendealer versprochen wird. Aber es ist schlicht infam, dies als „freiwillige Entscheidung“ darzustellen.

Wenn es um vermeintliche Rechte des Mainstream geht, dann verfängt der kommunitaristische Appell plötzlich nicht mehr. In einem Land, in dem der Besitz einer Waffe als Grundrecht angesehen wird und alle 14 Minuten ein Mensch an Schußwunden stirbt, müßte ein Minimum an gesundem Menschenverstand ausreichen, um die Abtretung dieses individuellen „Rechts“ an den Staat durchzusetzen – schon allein um der zivilisatorischen Errungenschaft eines staatlichen Gewaltmonopols näherzurücken. Zwar ist es Clinton gelungen, letzte Woche im Kongreß ein Gesetz zum Produktionsverbot von 19 Typen halbautomatischer Gewehre durchzusetzen. Doch dieser Erfolg wurde vor allem bei konservativen Kongreßmitgliedern mit der Ausweitung der Todesstrafe, Finanzmitteln für mehr Gefängnisse und dem Mißbrauch einer Baseballregel erkauft.

Das Schlimme ist: Clinton trägt dazu bei, einen gesellschaftlichen Diskurs über Gewalt und gun-violence mit einer wahlpolitischen PR-Kampagne unter dem Motto „Krieg gegen das Verbrechen“ zu untergraben – wohl wissend, daß solche Kampagnen immer rassistische Stereotypisierungen in der weißen Bevölkerung fördern. Das nehmen ihm vor allem afroamerikanische Politiker und Aktivisten übel, die genau wissen, wen das staatliche Strafinstrumentarium vom symbolischen Baseballschläger bis zur realen Todesspritze am härtesten trifft: schwarze Männer. Andrea Böhm, Washington