Oscar Luigi Scalfaro blickt finster drein

Italiens Staatspräsident verlangt die Einhaltung der Verfassung / Im Parlament hat die neue Regierung keine ernsthaften Gegner / Neue Boykottdrohungen aus dem Ausland  ■ Aus Rom Werner Raith

„Die eigentliche Arbeit“, flüstern frisch vereidigte Mitarbeiter des 52. italienischen Nachkriegskabinetts, „beginnt erst. Die kommende Woche wird grauenhaft.“ Zwar hat Silvio Berlusconi, Chef der Fünfparteienkoalition aus seiner eigenen Bewegung Forza Italia, der oberitalienischen Liga Nord, der von Neofaschisten dominierten Nationalen Allianz, den Liberalen und dem aus der aufgelösten Democrazia Cristiana als Minderheitsfraktion hervorgegangenen „Christlich-demokratischen Zentrum“, sein Kabinett nach zweiwöchigem Verhandlungsmarathon endlich präsentiert. Doch die parlamentarische Mehrheit für die Vertrauensabstimmung in den beiden Häusern des Parlaments hat er noch nicht in der Tasche.

In der Abgeordnetenkammer verfügt die Koalition über eine 40-Stimmen-Mehrheit, doch im Senat fehlen vier Stimmen. Kleinere externe Gruppen wie die Liste Pannella wollen einspringen – doch überlegen sich mehrere zunächst als sichere Kandidaten für Ministerämter gehandelte Volksvertreter, ihren Chefs die Gefolgschaft zu versagen.

So etwa der Chefideologe der Liga Nord, Gianfranco Miglio, der für das Ministerium zur Reform der Institutionen vorgesehen war, oder die Zentrumspolitikerin Ombretta Fumagalli, die zuerst das Post- und dann das Familienressort übernehmen sollte und dann leer ausging. Letztere Ausschaltung bedeutet auch, daß nur noch eine Frau im Kabinett ist.

Noch nie standen die Vorzeichen mehr auf Sturm. Die Reaktionen im In- und Ausland fördern die Besorgnis noch. Wenige Stunden vor der Bekanntgabe der Ministerliste hatte Staatspräsident Oscar Luigi Scalfaro noch Berlusconi brieflich aufgefordert, drei Grundprinzipien als unabdingbar zu versichern und ihm schriftlich zu bestätigen: die Einheit Italiens, die Respektierung aller geschlossenen internationalen Verträge und die Beachtung der von der Verfassung festgelegten sozialen Solidarität.

Die Ermahnung galt vor allem drei Aspiranten auf Schlüsselressorts: dem designierten Außenminister Martino, der als Antieuropäer gilt und auch den Forderungen der Neofaschisten nach einer Revision etwa des Vertrages von Osimo über die Zugehörigkeit Istriens zum ehemaligen Jugoslawien aufgeschlossen gegenüberzustehen scheint; dem von der Liga Nord durchgesetzten Innenminister Maroni, der für einen so akzentuierten Föderalismus eintritt, daß man ihn nur schwer von einer Auflösung des Staatsverbandes unterscheiden kann; und dem zunächst vorgesehenen Justizminister – als den hatte Berlusconi Cesare Previtti bestimmt, seinen eigenen Anwalt. Den Schritt hatten selbst enge Freunde Berlusconi schon auszureden versucht, ist doch derzeit gleich ein halbes Dutzend Strafverfahren gegen bisher just von Previtti vertretene Berlusconi-Firmen anhängig.

Am Ende brachte zwar die Liga Nord ihren Innenminister Roberto Maroni Speroni durch, und der preist sich seither unentwegt selbst als „Garanten der Einheit“, auch durfte Berlusconi seinen Favoriten Antonio Martino zum Außenminister ernennen. Doch er mußte, was am meisten schmerzte, das Justizministerium in letzter Sekunde noch umbesetzen. Nun wird der Liberale Alfredo Biondi die Rechtspolitik des Landes leiten, ein eher knorriger Rechtsanwalt, der zwar vehement für Bürgerrechte eintritt, aber ebenso scharf gegen jede Amnestie von Korruption und politischen Verbrechen polemisiert.

Bekannte Gesichter aus dem Berlusconi-Trust

Berlusconi-Advokat Previtti wurde ins Verteidigungsministerium „umgesetzt“, wo er inzwischen Budgetsteigerungen und neues Ansehen für die Armee verspricht. Er ist nicht der einzige Mann aus dem Berlusconi-Trust mit neuen Amtswürden – auch der persönliche Staatssekretär des Regierungschefs, Gianni Letta, kommt aus der Fininvest-Holding – er hat die Zuständigkeit für die Geheimdienste; der Ressortchef für die Beziehungen zum Parlament, Giuliano Ferrara, war bisher Leiter von Politsendungen in den Fernsehkanälen des Mailänders.

Staatspräsident Scalfaro nahm Berlusconis Gelöbnis hin – überzeugt schien er nicht, so finster, wie er dreinschaute. „Respekt“, urteilte die Tageszeitung La Voce und zeigte als Titelbild eine Fotomontage, in der sich der Staatschef die Pistole an die Schläfe setzt, „der Präsident ist derzeit die einzige wirkliche Opposition im Lande.“ Angesichts der Sprachlosigkeit der Linken nach dem Wahldebakel vom März scheint das nicht übertrieben. Il Manifesto wählte als Titel eine ganzseitige schwarze Fläche.

Bedeckt hielten sich die fünf Minister der Nationalen Allianz (Landwirtschaft, Umwelt, Kulturgüter, Transport und Post, letzterer auch einer der beiden Stellvertreter des Ministerpräsidenten, der andere kommt aus der Liga Nord). Am Tag der Vereidigung der Berlusconi-Crew erklärten Minister des norwegischen Kabinetts, sie würden sich „mit keinem einzigen faschistischen Minister treffen, geschweige denn verhandeln“.

Gestern eilte der Präsident des Senats, Carlo Scognamiglio, vor die Auslandspresse, um die Bedenken zu zerstreuen – und richtete scharfe Kritik an den Chef der Nationalen Allianz, Gianfranco Fini, der Mussolini als den „größten Staatsmann dieses Jahrhunderts“ bezeichnet hatte. Da Scognamiglio als enger Vertrauter Berlusconis gilt, sehen die Auguren darin bereits ein Anzeichen für einen Konfrontationskurs Berlusconis gegen seinen Rechtsaußen, um sein eigenes Image mehr in die politische Mitte zu rücken.