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Die US-Regierung kommt wegen ihrer merkwürdigen Haiti-Politik nicht nur unter wachsenden Druck, sondern auch zunehmend ins Schlingern / Klare Worte, unklare Absichten  ■ Aus Washington Andrea Böhm

Gesucht: kleine, aber geräumige Insel mit Telefon- und Kabelanschluß für Exilpräsidenten. Chiffre: Aristide. So ließe sich eine der neuen Ideen beschreiben, die gegenwärtig im Weißen Haus über die Zukunft von Washingtons derzeit prominentestem Exilanten zirkulieren: Die haitianische Insel GonÛve, etwa 50 Kilometer westlich von Port-au-Prince gelegen und mangels Präsenz haitianischer Soldaten und Todesschwadronen bislang vom Terror verschont, könnte nach der Vorstellung mancher Kongreßabgeordneter und Administrationsmitglieder eine geeignete Zwischenstation für den 1991 gestürzten haitianischen Präsidenten bei seiner Rückkehr nach Port-au-Prince werden.

Die Verfechter dieser Idee sind zweifellos eher von dem Wunsch beseelt, einen unbequemen Exilanten loszuwerden, dessen Aufenthalt in den USA die Clinton- Administration immer wieder an ihre bislang gescheiterte Haiti-Politik erinnert. Denn auch nach der jüngsten Korrektur der US-Flüchtlingspolitik und nach der Androhung eines umfassenden Handelsembargos gegen Haiti durch den UN-Sicherheitsrat hat die Clinton- Administration bislang keine glaubwürdige Strategie präsentiert, um den Rücktritt der Putschisten und die Wiederherstellung der Demokratie zu gewährleisten. Vielmehr reagierten Haitis Militärmachthaber mit einer Provokation: Sie ließen das haitianische Rumpfparlament aus den ihnen genehmen Abgeordneten einen achtzigjährigen Richter namens Emil Jonassaint zum „vorläufigen Präsidenten“ wählen. Washington und der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) blieb nichts anderes übrig, als dagegen zu protestieren.

Was derzeit im Weißen Haus produziert wird, sind Ideen, Gerüchte und Dementis. Die einen schlagen vor, die Insel GonÛve zu einer Schutzzone nicht nur für den Präsidenten, sondern auch für haitianische Boat people zu machen. Die anderen diskutieren, Exilhaitianer militärisch zu einer Invasionstruppe auszubilden – sozusagen die politisch korrekte Version der Schweinebucht-Invasion in Kuba. Am Mittwoch meldete die Los Angeles Times unter Berufung auf diplomatische Kreise in Haiti, die USA planten die Stationierung von mindestens 600 US-Militärs, um die haitianische Armee und Polizei unter Kontrolle zu bringen – selbst wenn die Putschistenführer nicht freiwillig ihre Posten räumten. Dee Dee Myers, Sprecherin des Weißen Hauses, sowie Verteidigungsminister William Perry dementierten. US-Außenminister Warren Christopher erklärte, eine Stationierung amerikanischer Soldaten zur Ausbildung und Professionalisierung der haitianischen Armee sei erst vorgesehen, wenn „in Haiti die Demokratie wiederhergestellt ist“.

Die Situation in dem Karibikstaat war in den letzten Wochen auf der Prioritätenliste der US-Administration an die Spitze gerückt, nachdem Berichte über Armeeterror in Haiti sowie eine konzertierte Menschenrechtskampagne in den Vereinigten Staaten die verheerenden Auswirkungen der bisherigen US-Politik wieder in die Schlagzeilen gebracht hatten. Jean-Bertrand Aristide begann ebenso wie Kongreßabgeordnete aus dem liberalen Spektrum, darunter vor allem VertreterInnen des „Black Caucus“, die US-Regierung öffentlich einer rassistischen Flüchtlingspolitik zu bezichtigen. Abgeordnete ließen sich bei Demonstrationen gegen die Haiti- Politik ihres Präsidenten medienwirksam vor dem Weißen Haus verhaften. Prominente wie Paul Newman, Joanne Woodward oder Quincy Jones, alle wichtige Aushängeschilder aus dem letzten Wahlkampf, die Clinton auch 1996 wieder braucht, protestierten öffentlich. Ein prominenter Aktivist auf der Anti-Apartheid-Bewegung, Randall Robinson, trat in den unbefristeten Hungerstreik.

Der Druck zeigte Wirkung, der Preis für die Politik des Status quo wurde Clinton offenbar zu hoch. Auf Antrag der USA verhängte der UN-Sicherheitsrat vor einer Woche ein umfassendes Handelsembargo, das am 21. Mai in Kraft treten soll, falls die Putschistenführer, Generalleutnant Raul Cédras und Polizeichef Michel François, bis dahin nicht zurücktreten. Haitianischen Boat people soll zukünftig auf US-Schiffen oder in Drittländern eine Asylanhörung gewährt werden. Zudem ersetzte Clinton den bisherigen Sondergesandten für Haiti, Lawrence Pezzullo, durch William Gray, Ex- Kongreßabgeordneter und Präsident des „United Negro College Fund“.

Die Kritiker in den USA hat Clinton damit erst einmal ein wenig besänftigt. Robinson hat nach vier Wochen seinen Hungerstreik abgebrochen, Mitglieder des Black Caucus haben die Maßnahmen als einen „ersten Schritt“ in die richtige Richtung begrüßt. Aristide hingegen kritisierte die neue Politik als unzulänglich, „weil sie nichts zum Schutz der Millionen von Haitianern unternimmt, die tagtäglich wachsender Gewalt in ihrem Land ausgesetzt sind“. Allerdings weiß auch der haitianische Präsident, daß sich Bill Clinton selbst unter Handlungsdruck setzt: Das Handelsembargo wird die Situation der haitianischen Bevölkerung so weit verschlimmern, daß Tausende die Flucht versuchen werden.

Siehe auch Seite 11