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Nostalgie vom Küchentisch

Bauwettbewerb für Berlins „Spreeinsel“ entschieden: Nobody Niebuhr macht mit „Papierarchitektur“ das Rennen vor Ungers / Radikaler Abriß der DDR-Geschichte  ■ Von Rolf Lautenschläger

„Wer ist Bernd Niebuhr?“ soll Berlins Stadtentwicklungssenator Volker Hassemer (CDU) irritiert gefragt haben, als die Jury beim „städtebaulichen Wettbewerb Spreeinsel“ einen Nobody zum Sieger gekürt hatte. „Mit heruntergeklappten Kinnladen“, erzählte ein Mitglied des Preisgerichts, starrten die Juroren, unter ihnen Bundesbauministerin Irmgard Schwaetzer, am Mittwoch nachmittag auf den unbekannten Namen, hinter dem sich die Planung für die neue Mitte der Hauptstadt verbirgt. Volker Hassemer rappelte sich nach dem Schock am schnellsten auf und schickte seine Späher aus: Bernd Niebuhr, fanden sie heraus, ist ein 35jähriger Architekt aus Berlin, der bislang kaum in Erscheinung trat. Ein Büro besitzt der Sterling-Schüler nicht. Das Berliner Zentrum entstand „wohl am Reißbrett neben dem Küchentisch“, vermutete ein Jurysprecher.

Von den 52 Teilnehmern des Bauwettbewerbs zählten auch die Zweitplazierten Krüger/Vandreike/Schubert (Berlin) und der Schweizer Architekt Rudolf Rast (3. Preis) nicht zu den sogenannten Stararchitekten: Erst auf Rang vier landete ein Baumeister mit Renommee: Oswald Mathias Ungers (Köln). Ungers geht damit im dritten großen Berliner Bauwettbewerb leer aus, obwohl ihm die Jury wohlgesonnen war. Groteskerweise, erzählte man sich hinter vorgehaltener Hand, hatte man Niebuhrs Pläne für solche vom Zeichentisch Ungers gehalten. Pech für den Kölner.

Die Stimmung der Auslober des mit 1.106 Teilnehmern gestarteten zweistufigen internationalen Mammutverfahrens um das 41 Hektar große Gelände am Palast der Republik war entsprechend verhalten. Irmgard Schwaetzer kommentierte die Entscheidung lapidar: „Wichtig ist, daß der Neubau eines Außenamtes und die Ergänzung des Gebäudes der ehemaligen Reichsbank in Angriff genommen werden können.“ Hassemer rettete sich mit den Worten: „Eine Lösung für das Zentrum ist gefunden worden, die dem Gewicht und der Tradition dieser Mitte der Mitte gerecht wird.“ Das Bündel aller städtebaulichen Entscheidungen sei geschnürt. Von „Jahrhundertaufgabe“ (Hassemer) spricht niemand mehr.

Der Sieger tauchte erst einmal unter. Die Senatsverwaltung hält den Entwurf bis kommenden Montag offiziell unter Verschluß. Niebuhrs Planung, so war aus dem Umfeld der Wettbewerbsabteilung zu erfahren, räumt die baulichen Spuren des sozialistischen Städtebaus radikal ab: Der Palast der Republik fällt der Abrißbirne zum Opfer. Ebenso plattgemacht werden die Bauten des DDR-Außenministeriums und des Staatsrats. Nach dem Auslöschen der emotionalen und ideologischen Altlasten zwischen Alexanderplatz und der Straße Unter den Linden orientiert sich Niebuhr hauptsächlich an alten Bildern im Berliner Stadtgrundriß. Nach seinen Vorstellungen soll in den Ausmaßen des einstigen barocken Stadtschlosses ein Baukörper für eine Bibliothek, ein Kongreßzentrum und eine Ausstellungshalle entstehen. Anstelle des Staatsrats plant Niebuhr ein Quartier, das dem zukünftigen Bundesaußenministerium Raum geben soll. In Nachbarschaft der Reichsbank sieht er einen Erweiterungsbau für das Innenamt. Sehnsucht nach preußischer Geschichte läßt der Architekt auf dem Terrain des DDR-Außenministeriums aufkommen. Schinkels Bauakademie soll dort wiederauferstehen.

Auch der Entwurf des zweiten Siegers ist ein bedingungsloses Plädoyer für den Abriß der DDR-Geschichte, überzieht er doch die Mitte mit dem Schloßvolumen, Blöcken und Plätzen im traditionellen Berliner Maßstab. Einzig O.M. Ungers widerstand der Nostalgie und plante Neues: Er behielt die Gebäude des Palastes und des Staatsrats bei und gliederte sie in eine Randbebauung ein, die ein großes Forum umschließt.

Die Namenlosigkeit des Architekten Niebuhr, die recht unspektakulären Siegerentwürfe und die Emotionslosigkeit der ersten Kommentare sind wohl exemplarisch für den – noch während seiner Auswertung – bedeutungslos gewordenen Bauwettbewerb. Seit dem Beginn des 4,5 Millionen Mark teuren Unternehmens vor einem Jahr ist nichts mehr, wie es war. Die Euphorie der Auslober, bald mit den Neubauten beginnen zu können, ist von der Realität eingeholt worden. Die bauliche Kostümierung der Mitte mit einem Plastikschloß erschiene heute ebenso fahl wie die Debatte um die Asbestverseuchung des Palastes, meinte jüngst der Architekt Günter Näther. Statt großer Pläne kann derzeit nichts realisiert werden. Erst recht gibt es keine Planungssicherheit, strich doch der Haushaltsausschuß des Bundestages alle Gelder für Neubaumaßnahmen. Die Bundesminister müssen in Berlin in Altbauten einziehen.

Statt sich pragmatisch mit den bestehenden Bauten in der Mitte auseinanderzusetzen, Kosten zu sparen und bei Notwendigkeit neue Planungen aufzulegen, jagte die Bundesbauministerin Träumen hinterher, die nun, wie viele andere Planungen auch, platzten, spöttelte der Baujournalist Hans Oswald.

Immer neue Standortbestimmungen und Entwürfe gehörten in der Berliner Planungsgeschichte für Regierungsbauten zu den Ablagerungen, die immer wieder aufgelegt würden. Die Weltstadtideen der zwanziger Jahre, die Pläne Albert Speers oder die Entwürfe einer neuen Hauptstadt nach dem Kriege seien Zeugen der „Planungen des Scheiterns“, so der Kritiker Flierl. Es sieht so aus, als ob sich die Papierarchitektur Bernd Niebuhrs zu diesen Planungen gesellt.

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