Die Stadt, der Hafen und die Menschen

■ Arbeitsmigranten: Das „Tor zur Welt“ macht die Schotten dicht

Was hat die Geschichte des Hamburger Hafens mit Wanderungsbewegungen zu tun ? Fast jeder(m) fallen bestimmt die Seeleute ein, die nach Hamburg kommen. Kaum jemand ist sich aber bewußt, daß Hamburg und der Hafen heute noch von früheren europäischen und überseeischen Wanderungsbewegungen profitieren. So wurde der Niedergang der Hanse im späten 16.Jahrhundert dadurch kompensiert, daß der Rat der Stadt schon damals eine 'Einwanderungspolitik' betrieb. Sephardische Juden, die im Zuge der Reconquista aus Portugal vertrieben worden waren, brachten ihre Geschäftsbeziehungen zu den südamerikanischen Kolonien mit. Sie öffneten Hamburg das Tor zum Überseehandel.

Der Hafen entwickelte sich schon bald zu einem der führenden Importhäfen für Gewürze (z.B. Pfeffer), Tabak und Zucker. Ihr Aufenthaltsrecht mußten die Sepharden allerdings mit höheren Steuern als andere Hamburger Bürger bezahlen, sie durften kein Grundeigentum erwerben und ihre Religion nur hinter verschlossenen Türen ausüben.

Seit dem späten 18. Jahrhundert entwickelte sich Hamburg neben Bremen zum Auswandererhafen. Die Auswanderer kamen zunächst vor allem aus dem süddeutschen Raum, wo sie im Zuge der Entwicklungen in der Landwirtschaft ihre Arbeit und Existenzgrundlage verloren hatten. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde die Auswanderung nach Amerika zu einem großen Geschäft für die Hamburger Reedereien.

Rund 70.000 Menschen, meist aus Osteuropa, nutzten den Hafen als Transithafen. Für die Reederei HAPAG war der Transport von Menschen einer der Grundsteine für spätere Erfolge, während die Schiffe der Reederei Sloman, bekannt als die „Slomanschen Totenschiffe“, durch ihre miserablen und menschenverachtenden Bedingungen an Bord Aufsehen erregten.

Etwa zeitgleich fand auch eine Einwanderungswelle nach Hamburg statt. Im Zuge der Industrialisierung wurden in der Stadt Arbeitskräfte zum Umbau des Hafens in einen Industriehafen benötigt. Neue Kaibecken sollten entstehen und für das neue Verkehrmittel Eisenbahn Anschlüsse im Hafen gebaut werden. Dazu mußten Menschen aus dem preußisch besetzten Polen angeworben werden.

Im Nationalsozialismus träumte die Kaufmannschaft von gigantischen Absatzmärkten in einem europäischen „Großwirtschaftraum“ unter deutscher Führung, der das Hamburger Hinterland bis an den Ural ausdehnen sollte. Hamburg wurde mit seinen Schiffs- und Flugzeugwerften zur bedeutendsten norddeutschen Rüstungsschmiede ausgebaut. Billige Arbeitskräfte für die Realisierung der ehrgeizigen Expansionspläne lieferte das 1938 gegründete Konzentrationslager Neuengamme. Neunzig Prozent der hinter Elektrozäunen eingesperrten Häftlinge waren Ausländer, die die Gestapo aus allen besetzten Gebieten Europas deportieren ließ.

Die Namen der Hamburger Firmen, die sich an der Häftlingsarbeit bereicherten, wie Blohm + Voss oder die Deutsche Werft, sind heute auf keiner Gedenktafel verzeichnet. Von den 106.000 Menschen, die in Neuengamme oder in einem der 80 Außenlager inhaftiert waren, kamen 55.000 unter den mörderischen Bedingungen im Lager um – vernichtet durch Arbeit.

Arbeitslosigkeit bei Ausländern doppelt so hoch

Zehntausende von „Ost-Flüchtlingen“ und DDR-Übersiedlern ermöglichten nach Kriegsende Hamburgs „Wiederaufbau“ und seinen Anteil am bundesdeutschen „Wirtschaftswunder“. 1960 waren die Arbeitskraft-Reserven jedoch erschöpft, und mit dem Mauerbau versiegte eine wichtige Quelle der qualifizierten Arbeitsmigration. Fortan ließ die Hamburger Wirtschaft ihre „industrielle Reservearmee“ im europäischen Ausland anwerben. Italienische, spanische und griechische Arbeitsmigranten, gefolgt von Portugiesen, Jugoslawen und Türken, brachten den Hafen und seine Industrie wieder in Schwung. In Schiffbau, Mineral- und Erzverarbeitung oder Veredelung hochwertiger „Kolonialwaren“ wie Kakao und Kaffee – ohne die „Gastarbeiter“ lief nichts.

Mit der Gastfreundschaft war es vorbei, als Ende der sechziger Jahre die Hamburger Industrie in eine schwere Krise steuerte, die mit dem „Ölschock“ 1973 ihren Höhepunkt fand. Die Bundesregierung beschloß „Anwerbestopps“ und „Rückkehrhilfen“. In den Hamburger Domänen der ausländischen Beschäftigung, der Industrie- und Hafenarbeit, setzte ein massiver Stellenabbau ein, der bis heute andauert.

Arbeiteten 1980 noch rund 25.000 Ausländer im verarbeitenden Gewerbe, so waren es fünf Jahre später nur noch 15.000. Neben Rassismus und Fremdenfeindlichkeit entwickelte sich die Arbeitslosigkeit mit Quoten, die doppelt so hoch liegen wie die der deutschen Kollegen, zum größten Problem der Ausländer in Hamburg .

Wer heute als Nicht-EG-Ausländer Aufnahme in der Hafenmetropole Hamburg sucht, dem bleibt meistens nur noch die Möglichkeit, einen Asylantrag zu stellen – mit minimalen Aussichten auf Erfolg. Für Flüchtlinge aus Ghana, dem für den Hamburger Hafen und seine Kolonialwaren-Industrie so bedeutenden Kakao-Land, betrug die Ablehnungsquote in den vergangenen Jahren jeweils 99,9 Prozent. Das „Tor zur Welt“ macht seine Schotten dicht. Heiko Möhle Christoph Schmitt

Die Autoren sind Mitarbeiter des Projekts „Migration und Rassismus in europäischen Hafenstädten“ in der Werkstatt 3