Hamburgs Hafen – Mythen und Fakten

■ 805 Jahre Hafen – ein Fest, das die Stadt und ihre BürgerInnen ein ganzes Jahr feiern

Hamburgs Bild, sein Image, ist unbestreitbar fließend. Noch immer eine Stadt voll Kraft, Vitalität und Dynamik, in rund 30 wirtschaftlichen und kulturellen Kriterien führend, hat sie auch spezifische Probleme, die sich aus ihrer Struktur und Geschichte ergeben. Hamburg, das ist die zukunftsorientierte Metropole des Nordens und die Drehscheibe der Bundesrepublik Deutschland nach Skandinavien und in die Länder Europas“. So weit im Vorwort zum offiziellen Jubiläumsbuch, das 1988 veröffentlicht wurde.

Der zehntgrößte Containerhafen der Welt

Der Hamburger Hafen: bei allen Veränderungen der letzten Jahrzehnte hat er für die Handelsmetropole Hamburg immer noch eine große Bedeutung. Er umfaßt 75 qkm und damit fast ein Zehntel der Hamburger Stadtfläche. Zahlreiche Im- und Exportfirmen, Speditionen und Seereedereien hängen von ihm ab. Insgesamt, so schätzt man, sind mehr als 100.000 Arbeitsplätze vom Hafen abhängig.

Trotz seiner ungünstigen Lage elbeaufwärts „boomt“ der Hamburger Hafen, ist der zehntgrößte Containerhafen der Welt, liegt in Europa knapp hinter dem größten Hafen Rotterdam. Containerschiffe der vierten Generation mit bis zu 4.000 TEU (Einheiten von 20-Fuß-Größe) können mit vier Containerbrücken gleichzeitig innerhalb von 24 Stunden gelöscht und wieder beladen werden.

Containertechnik und Umschlagsplanung per Computer haben in den letzten Jahrzehnten viele traditionelle Hafenberufe verdrängt und eine Verfünffachung der Transportproduktivität bewirkt. Rationalisierungs- und Flexibilisierungsstrategien haben den Hafen zu einem Dienstleistungszentrum „internationaler und intermodaler Transport- und Informationsketten“ gemacht

Die Bildung des gemeinsamen Marktes in Europa beschleunigt den Konzentrationsprozeß in der Wirtschaft. Global agierende Konzerne haben neue Besitzverhältnisse und Strukturen herausgebildet und in ihrem Gefolge auch industrielle Arbeitsbeziehungen neu gestaltet. Weltweit eingerichtete und miteinander vernetzte Produktionssysteme haben den klassischen Produktionsstandort längst ersetzt.

Kosten für Lagerhaltung, Risiken für die Nichteinhaltung von Qualitätsmerkmalen und die Einhaltung von Lieferfristen sind weitgehend auf die Zulieferbetriebe abgewälzt. Aber auch Zulieferbetriebe operieren und kooperieren längst weltweit, so daß der Arbeiter im Betrieb X im Land Y oft schon längst nicht mehr weiß, wer genau sein Arbeitgeber ist.

Die Transportkette vom Verlader bis zum Empfänger ist inzwischen ein direkter Bestandteil der industriellen Produktion geworden. Beispiel Autoindustrie: Die Zahnradfabrik Friedrichshafen ist mittlerweile einer der größten Zulieferbetriebe der Automobilindustrie. Dieser Zulieferbetrieb bekommt den Auftrag, in 5 Jahren 600.000 Lastwagengetriebe an die Firma Ford zu liefern.

Da dies mit den herkömmlichen Produktionskapazitäten nicht zu leisten ist, werden zwei neue Fabriken gebaut, eine zur Hightech-Produktion in Friedrichshafen, und eine andere zur Montage direkt neben das Ford-Stammwerk in Ohio. Zwischen diesen beiden Fabriken besteht eine Entfernung von 16.000 km. Damit die Zusammenarbeit funktioniert, muß diese Verbundproduktion wie ein Fließband laufen; sogenannte „just-in-time“-Produktion, d.h. die Teile müssen gerade zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort sein. Natürlich bekommt Ford Zulieferteile auch aus andereren Regionen, z.B. aus Ciudad Juarez in Mexiko und anderswo aus Lateinamerika.

Um ein reibungsloses Funktionieren dieses „Fließbandes“ zu gewährleisten, braucht man neue Technologien, neue Kommunikationssysteme und eine neue Art der computergestützten Logistik.

Und – was natürlich im internationalen Wettbewerb auch wichtig ist: die neuen Technologien werden hier, d.h. in Hamburg und anderen hochindustrialisierten Hafenstädten entwickelt. Diese Technologien müssen von Hafenstädten in der südlichen Hemisphäre mit erheblichem Kapitalaufwand erworben werden. Oft ist dies nur mit teuren Krediten möglich. Häfen, die sich Hightech-Ausstattungen nicht leisten können, geraten im internationalen Warenverkehr ins Abseits. In der Region angesiedelte Betriebe haben plötzlich schlechtere Standortbedingungen.

Immer mehr, immer schneller, immer flexibler

Gleichzeitig wird die Warenverschiebung zwischen den hochindustrialisierten Häfen immmer flexibler und schneller. Die globale Flexibilisierung ermöglicht es Unterbrechungen an bestimmten Produktionsstandorten auszugleichen oder auf Veränderungen der Nachfrage nach einem bestimmten Produkt schnell zu reagieren.

Die weltweit weitgehend zentralisierte und standardisierte Steuerung des Material- und Informationsflußes ermöglicht es, ungeheure Materialmengen von einem Produktionsstandort zum nächsten zu verschieben. Dies versetzt die Produzenten in die Lage, zwischen einer größeren Zahl von Anbietern auszuwählen und günstigere Konditionen zu erzielen. Insgesamt verursacht dieses Verfahren eine unheimliche Zunahme der Warenströme, was man auch im Hamburger Hafen beobachten kann.

Hamburger Politik war von jeher darauf bedacht, nicht in eine Randlage zu geraten. So Hamburgs ehemaliger Bürgermeister von Dohnanyi zur Eröffnung der Hafenkonferenz 1989: „Fruchtbar scheint mir eine Perspektive zu sein, die nicht nur vom logistischen Zentrum Hafen, sondern weitergreifend von einem logistischen Zentrum Hamburg ausgeht. ... Die Standortvorteile Hamburgs, (die sich aus dem) Standortfaktor Wasser und der besonderen geographischen Lage Hamburgs (ergeben), reichen heute nicht mehr aus. Entscheidend wird vielmehr die Konkurrenzsituation gegenüber den kontinentalen Industrie- und Dienstleistungszentren. ...“

Basishäfen und Zuliefererhäfen

Die Hamburger Wirtschaft und der Hamburger Hafen haben es immer wieder geschafft, sich den veränderten wirtschaftlichen Bedingungen anzupassen. Der Hafen hat dabei nicht unbeträchtlich zur Ansammlung von Reichtum in dieser Stadt beigetragen. Geld wurde gemacht mit dem Salpeter-Handel mit Chile, mit Kaffee, Rüstungsgütern, Südfrüchten, mit Autos, mit Menschen, und neuerdings eben auch mit Hafentechnologien: Ein Bereich, der als Konsequenz der weltweiten Containerisierung und Technologisierung bisher noch nicht angesprochen wurde, ist die Folge für die Häfen weltweit und insbesondere für die Häfen des Südens.

Die Visionen, die Hafenfachleute für die globale Entwicklung von Häfen in die Diskussion bringen, trägt der Tatsache Rechnung, daß immmer mehr Güter immer schneller um die Welt geschafft werden, und daß das nur in einem weltweiten Verbundsystem funktionieren kann.

Eine weitgehende Standardisierung von Verpackungen und Transportmitteln wird gebraucht. Häfen spielen im internationalen Wettbewerb nur noch dann eine Rolle, wenn sie containerisiert sind. Nur diese Häfen sind so etwas wie Basishäfen, die von den großen Schiffsklassen angelaufen werden, alle anderen gehen auf die Bedeutung von regionalen Zulieferhäfen zurück. Fachleute vermuten, daß es im Jahr 2000 nur noch zehn bis achtzehn Basishäfen geben wird.

Die zunehmende Containerisierung hat dazu geführt hat, daß ganze Industrien wie die Sackindustrie verschwinden, weil es kaum noch Schüttgut gibt. Der Verlust arbeitsplatzintensiver Industriezweige trifft viele Länder des Südens empfindlich. Andererseits erfordert die Modernisierung erhebliche Investitionen zur Umstellung der Infrastruktur.

Hamburg als globale Kaffee-Zentrale

Es müssen Straßen gebaut und Schwerlaster für den Containertransport angeschafft werden. Die Port-Consult, Tochter der senatseigenen HHLA, ist weltweit an dem Ausbau von Hafenanlagen beteiligt. Der Zentralisierungsprozeß in der Hafenwirtschaft macht die Länder des Südens abhängig von moderner Technologie aus Industrieländern. Am Beispiel des Kaffeehandels wird deutlich, wie sich die zunehmende Technisierung im Süden auswirkt. Hamburg ist die Kaffeezentrale der Welt, jeder 7. Sack Kaffee des internationalen Kaffeehandels wird hier umgeschlagen. Modernisierungen, die in der Kaffeeverladung stattfinden, werden notwendigerweise auch entsprechende technologische Anpasssungen in den Häfen erforderlich machen, die Hamburg beliefern. Kaffee kommt aus Afrika, Asien und Lateinamerika.

In Lateinamerika wird heute Kaffee verladen in Santos, Rio, Puerto Limon, Baranquilla und anderen Häfen. Künftig wird es aber in Lateinamerika möglicherweise nur noch ein bis zwei Basishäfen geben. In den übrigen Häfen werden Arbeitsplätze im Hafenbereich wegfallen, und die dort angesiedelte Industrie hat Standortnachteile, weil sie relativ weit entfernt von den Routen der hochtechnisierten Warenströme liegt.

Können Sie sich vorstellen, wieviele Kilometer neue Straßen nötig sein werden, um den Zulieferverkehr zu gewährleisten? Auf die ökologischen Konsequenzen dieser Entwicklung einzugehen, würde an dieser Stelle zu weit führen, wäre aber sicherlich eine Betrachtung wert. Inge Remmert-Fontes