Coreas flinke Meisterklasse

■ Die „Chick Corea Electric Band II“ war in der Glocke - aber wo war das Publikum?

Die Veranstalter wissen schon, warum sie mit den Tourneen von etwas teureren Jazzmusikern Bremen meiden. Man kann sich auf das hiesige Publikum nicht verlassen. Der eine oder andere Jazzenthusiast wird sich zwar sehr auf den Auftritt der neuen Band von Chick Corea gefreut haben, aber am Donnerstag abend füllten etwa 350 Zuhörer die Glocke nur zu etwa einem Viertel.

Diesen „happy few“ bot der Pianist nicht weniger als ein zwei Stunden langes Resumee seiner musikalischen Laufbahn. Seine Band blieb zwar im Rahmen des Jazzrock, aber Corea tanzte mit seinen Solis immer wieder weit über die Grenzen hinaus: So gab es eine sehr frei gespielte Improvisation auf dem unbegleiteten Piano oder einige lange Triopassagen im äußerst kniffligen Stile des Hardbop, bei denen sich der Bassist und der Schlagzeuger so sehr anstrengen mußten, daß hinterher ihre Mitspieler zusammen mit dem Publikum applaudierten. Eine lyrische Komposition, die an Coreas große Erfolge in den frühen 70er Jahren erinnert, wurde mit dem für ihn typischen romantischen Flair interpretiert.

Eine der angenehmsten Überraschungen war aber, daß Chick Corea den Syntheziser fast den gesamten Abend unbenutzt stehen ließ. Stattdessen wechselte er (oft mehrmals innerhalb einer Stückes) zwischen Flügel und E–Piano hin und her.

Corea ist es neben Herbie Hancock am besten gelungen, auf dem Fender Rhodes einen ganz persönlichen, beim ersten Anschlag erkennbaren Ton zu entwickeln, und er führte das an diesem Abend sehr reichlich vor - und sehr inspiriert.

Die Bandmitglieder sind durchweg Musiker aus der Liga der „jungen Flinken“, also sehr virtuos und schnell spielende Meisterschüler, die jeden musikalischen Gipfel mit sportlichem Ehrgeiz stürmen. Ihr Zusammenspiel war fast schon zu perfekt, aber weil noch keiner von ihnen auf dem Instrument die ganz eigene Handschrift entwickelt hat, fehlte der starke Gegenpol zu Coreas übermächtiger Persönlichkeit.

Deshalb ist dies noch keine von seinen großen Bands, und von den gespielten neuen Kompositionen prägt sich auch kein neues „Fiesta“ forever in die Erinnerung ein. Aber die freundliche Grundstimmung und das mit musikalischen Finessen prallgefüllte Konzert begeisterten das Publikum, so daß die Band am Ende doch viel länger als geplant spielte. So bald wird man aber trotzdem von ihnen hier wohl nichts mehr hören, denn letzlich zählt die Kasse und nicht der Beifall. Willy Taub