Und sagten kein einziges Wort

„Malen ist einsam, Theatermachen nicht“: Werkschau von Achim Freyer in der Akademie der Künste  ■ Von Ulrich Clewing

Heute Berlin, morgen Paris, anschließend nach Wien und Venedig. Achim Freyer, der Maler, Bühnenbildner und Regisseur, ist ein gefragter Mann. Die Theaterwelt liegt ihm wegen seiner bildersatten Opernausstattungen zu Füßen, KritikerInnen verehren ihn als Magier und großen Illusionisten. Anläßlich von „Pantomime. Musik. Tanz und Theater“, einer von der Akademie der Künste im Rahmen des Theatertreffens veranstalteten Gastspielreihe mit dem garantiert doofsten Plakat der Saison, gastiert Freyer mit seinem 1991 gegründeten Freyer-Ensemble für fünf Tage in Berlin. Gleichzeitig wurde am Hanseatenweg eine Werkschau mit rund 200 Zeichnungen und Gemälden des gebürtigen Berliners eröffnet: so kommt der Ende März 60 Jahre alt gewordene doch noch zu seiner Hommage.

Freyer, der malende Regisseur und regieführende Maler, das war schon immer Anlaß für Mißverständnisse. Da mag der ehemalige Meisterschüler Bertolt Brechts, der, bevor er 1972 die DDR verließ, Bühnenbilder für Ruth Berghaus, Benno Besson und Adolf Dresen entwarf, selbst noch so oft behaupten, Malen und Theatermachen seien für ihn zwei grundverschiedene Dinge, er gilt als herausragender Vertreter des Bildertheaters. Dabei sind seine beiden neuesten Produktionen, die im April an der Oper in Bonn uraufgeführten und nun in Berlin vorgestellten Inszenierungen „FlügelSchläge“ und „DisTanzen“ alles andere als zu Bildern erstarrtes Theater, so bildhaft sie auch sein mögen.

In „FlügelSchläge“ verwendet Freyer Motive aus der Oper „Einstein on the beach“ von Philip Glass und Robert Wilson, die er in Stuttgart ausstattete. Hier vollführen die Akteure zu Glass' nervös- monotonen „Etude for Piano“ jetzt ein stummes Nebeneinander von Pantomime, Tanz und traditionellem Rollenspiel. Wie schon bei Freyers vorherigen Arbeiten wird der ganz in Weiß ausgeschlagene Bühnenkasten von strengen Geometrien dominiert. Eine Stange, ein Rechteck, Quader, Kreis und Kugel sind die Utensilien, mit denen sich die insgesamt sieben Schauspieler, jeder auf seine Weise eine Stunde lang entrückt beschäftigen.

Es ist eine Reise in die Langsamkeit: Eine Frau und ein Mann stehen erstarrt und verloren da. Dann kommt kaum merklich Bewegung in diese menschlichen Statuen, so aufreizend zögerlich, daß selbst das Schwingen einer elastischen Stange zum Ereignis wird, das Durchqueren des Bühnenraumes zum dramatischen Akt. Allmählich steigert sich diese Bewegung, begleitet von wechselnden Farbspielen, zu einem furiosen, scheinbar sinnlosen Wirbeln, um zum Schluß zu implodieren und wieder in einem abstrakten Bild einzufrieren. Die ganze Zeit fällt kein einziges Wort.

Freyers Theater ist zuallererst Theater für die Augen, beschränkt sich aber nicht auf reine Ästhetik, die Schauspieler zu seelenlosen Dummies degradiert. Hinter den Masken verbergen sich Charaktere von alltäglicher Wahrheit.

So stumm, ernst und getragen wie in „FlügelSchläge“ geht es im zweiten Teil des Abends nicht zu. In „DisTanzen“ stehen sieben Figuren aufgereiht wie Perlen an einer Schnur an der Bühnenrampe – schräge Vögel, die Maria Elena Amos in grotesk deformierende graue Filzanzüge gesteckt hat. Irgendwann fangen sie an, sich zu unterhalten – in einer urkomischen Phantasiesprache ohne Sinn, die sich Martin Hirsch, einer der Schauspieler, ausgedacht hat. Achim Freyer versteht sich als „Klassiker“, unabhängig vom Diktat der Innovation. Man kann einige seiner Vorbilder benennen: Oskar Schlemmer, die Surrealisten, Dada. Was seine Arbeit so faszinierend macht, ist das zwingende Timing, das Zusammenspiel von darstellerischen Höchstleistungen, Lichtregie und Kostümen.

Von Freyers Gemälden, die unter dem Titel „Taggespinste Nachtgesichte“ im Saal 2 der Akademie gezeigt werden, läßt sich das hingegen nur mit Einschränkungen sagen. Die Vielschichtigkeit und die feinen seelischen Nuancen, Charakterisierungen, die in den Bühnenstücken hervorstechen, sind dort kaum vorhanden. Obwohl für Freyer in der Malerei die Bilder „von innen heraus“ kommen, wie ein Alpdruck nach außen drängen, bleiben die mit wenigen Strichen skizzierten Fratzen oft seltsam eindimensional. Am besten ist der Maler Freyer dort, wo die Liniengeflechte nur noch abstrakte Bewegung sind, wie in den sämtlich 1992 entstandenen Gemälden „Tanz bei Dämmerung“, „Vegetativ“ oder einfach „Komposition“. Freyer sagt: „Malen ist einsam, Theatermachen nicht.“ Vielleicht liegt es daran.

Die Ausstellung ist noch bis 19.6. geöffnet, täglich 10-19 Uhr, Mo ab 13 Uhr; an Aufführungen sind noch zu sehen: heute 20 Uhr „Liebe von Kopf bis Konfus“ (1993) morgen 20 Uhr „So wie eine Art Fisch, dessen Kopf herzzerreissend dem einer Heuschrecke gleicht“ (1991); an beiden Tagen um 22.30 Uhr der Film „Met Amor Ph Osen“; Akademie der Künste, Hanseatenweg 10.