Juchitán, Stadt der Frauen, Homos und der vielen Feste

■ Mitten im Macholand Mexiko gibt es eine matriarchale Insel: Subsistenzwirtschaft und Mutterschaft als Alternative?

Nicht erst seit dem Zusammenbruch des realen Sozialismus zerbricht sich manch eine/r den Kopf über mögliche Alternativen zum herrschenden kapitalistischen Weltsystem. Obwohl es im Titel selbst nicht anklingt, geht es Veronika Bennholdt-Thomsen und ihren Mitautorinnen in „Juchitán – Stadt der Frauen“ um das Aufzeigen einer trotz aller Welt- und nationalen Marktzwänge möglichen Alternative. Nicht als Modell verstehen sie die Gesellschaft Juchitáns, sondern als eine Erschütterung des Modelldenkens: „Am Beispiel Juchitán wird deutlich, daß Matriarchat und Marktökonomie, Subsistenzorientierung und verallgemeinerte Geldökonomie nicht notwendigerweise Widersprüche zu sein brauchen, daß es also durchaus auch in der Gegenwart Mechanismen gibt, die die Automatik der Wachstumsökonomie zu durchbrechen vermögen.“

Juchitán liegt in Mexiko, das in diesem Jahr Schlagzeilen machte mit dem Indioaufstand in Chiapas und der Ermordung des Präsidentschaftskandidaten Colosio. In einem Land also, das die sozialen Folgen der „nachholenden Entwicklung“ mit politischer Destabilisierung und Gewalt bezahlt. In Juchitán aber gehen die Uhren anders. Der Stolz und das Selbstbewußtsein der juchitekischen Frauen und ihre Präsenz im öffentlichen Leben der Stadt haben Mexikanerinnen wie auch Ausländerinnen gleichermaßen fasziniert.

In ihrer Untersuchung über den Alltag im juchitekischen Matriarchat zeigen die Autorinnen, wie sich die matriarchalen Strukturen in dieser Gesellschaft erhalten und dem forcierten Modernisierungsprozeß bis heute widerstehen konnten. In der traditionell festgeschriebenen geschlechtlichen Arbeitsteilung liegen regionaler Markt und Handel in den Händen der Frauen, und die Subsistenzorientierung dieser „Frauenwirtschaft“ ist es, die eine allgemeine Durchsetzung kapitalistischer Marktgesetze und des modernen patriarchalen Geschlechterverhältnisses erfolgreich verhindert hat. Da der Handel die „weibliche Quelle des Lebensunterhaltes“ ist, gilt das Prinzip, „daß mindestens der Unterhalt für einen Tag verdient werden muß“. Denn Reziprozität und Freigebigkeit spielen in den sozialen Beziehungen eine weitaus wichtigere Rolle als die Anhäufung von Reichtum, was sich insbesondere an den vielen und großen Festen (628 jährlich), in Juchitán ablesen läßt.

In ihren Erscheinungsformen findet sich diese „andere Ökonomie“ auch in anderen Regionen Mexikos. Ein entscheidender und wesentlicher Unterschied hingegen besteht im gesellschaftlichen Umgang mit Homosexualität. Nirgendwo sonst im Macholand Mexiko darf Homosexualität in vergleichbarer Weise repressionsfrei öffentlich „zur Schau getragen“ und gelebt werden. Die muxes (Transvestiten) gehören ebenso zum öffentlichen Erscheinungsbild der Stadt wie die männlich gekleideten marimachas, „Frauen, die sich mit Männern identifizieren und Frauen lieben“. Allerdings besitzen die muxes ein deutlich höheres Sozialprestige. Dieses höhere Ansehen, so Christa Müller, läßt sich mit Blick auf die matriarchale Tradition vermutlich daraus erklären, „daß ihnen Anerkennung für den Wunsch gezollt wird, als Frau in der Frauengemeinschaft leben und arbeiten zu wollen“, während die marimachas durch ihren Geschlechterrollentausch ihre sozialen Bezüge innerhalb der Frauengemeinschaft in Frage stellen.

Gesellschaftlich akzeptiert wird die gleichgeschlechtliche Neigung und Praxis dann, wenn sie durch ihre Anpassung an die soziale und geschlechtliche Arbeitsteilung in die heterosexuelle Ordnung integrierbar wird. Diese Integrationsfähigkeit wie die Flexibilität der Gesellschaft gegenüber Neuem und anderem hat ihren Grund in der traditionellen Arbeitsteilung der Geschlechter: „In Juchitán wie bei den mesoamerikanischen und den nordamerikanischen Indianern ist es die Arbeit, die für die übrige Gesellschaft das Geschlecht eines Individuums definiert.“

Die Erfahrungen der Autorinnen im Rahmen eines Forschungsprojektes der DFG werden von Veronika Bennholdt-Thomsen in einem „Plädoyer für ein Ende der Männerwirtschaft“ zusammengefaßt. Nicht die Überwindung der Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern und deren Gleichberechtigung würde die patriarchalen Strukturen der modernen Gesellschaft beseitigen, sondern eine andere Ökonomie, deren Grundlage Subsistenzorientierung und geschlechtliche Arbeitsteilung sind. „Eine grundlegende Voraussetzung für eine nichtpatriarchale Gesellschaftsverfassung in der Moderne (ist), daß diese unselige ideologische Verquickung ... zwischen der Geringschätzung der Mutterschaft und der Geringschätzung der Subsistenzproduktion überwunden wird.“

Eine Aussöhnung mit der Natur über die Gleichsetzung der Weiblichkeit mit Fruchtbarkeit, von Frau und Natur, wird wohl auch jetzt wieder auf heftige Kritik und Ablehnung von feministischer Seite stoßen. Als Monographie einer Gesellschaft, deren soziale und ökonomische Struktur es Frauen und auch Homosexuellen erlaubt, sich selbstbewußt und frei zu bewegen, ist das Buch jedoch allemal lesenswert. Barbara Beck

Veronika Bennholdt-Thomsen (Hg.): „Juchitán, Stadt der Frauen“. rororo aktuell, 251 S., 12,90 DM