Palästinenser-Polizei übernimmt Jericho

Gestern trafen die ersten 500 palästinensischen Ordnungshüter in dem Westbank-Städtchen ein und übernahmen die bisher von israelischen Soldaten verwalteten Institutionen  ■ Aus Jericho Julia Albrecht

Ein historisches Ereignis? Der erste Schritt zu einem palästinensischen Staat? Wer weiß das schon. Jedenfalls sind die Zeichen, auf die die PalästinenserInnen seit der Unterzeichnung des Friedensabkommens zwischen Israel und der PLO am 13. September letzten Jahres so sehnlichst gewartet haben, in Jericho auf einmal sichtbar. Von der im Zentrum des Städtchens gelegenen Polizeistation wehen seit gestern palästinensische Fahnen. 27 Jahre residierten hier israelische Besatzer. Gestern morgen standen auf dem Dach palästinensische Polizisten. Sie hielten ihre Gewehre in der Hand und klatschten gutgelaunt im Rhythmus der Frauen, die auf der Straße tanzten. Gemeinsam mit ihnen lächelte Arafat von einem an dem Gebäude befestigten Foto. Wenige Stunden zuvor war von dem bevorstehenden Wechsel noch nichts zu spüren gewesen. Die israelische Flagge war gehißt, israelische Polizisten schützten das Gebäude, und israelische Jeeps fuhren durch die Straßen.

„Es ist kaum zu glauben, daß es auf einmal doch Veränderungen gibt“, freute sich gestern Abu Ali. Der ältere Herr war fast 24 Stunden auf den Beinen. Schon am Donnerstag fuhr er immer wieder von der Stadtmitte zum Jordan und zurück. Er wollte die palästinensischen Polizisten begrüßen, die aus Jordanien kommen sollten. Abu Ali hoffte, den einen oder anderen von ihnen wiederzuerkennen. Denn unter den 20 Offizieren, die als erste ankamen, sind Veteranen, die wie er im Sechs-Tage- Krieg gegen die Israelis gekämpft haben. Von den insgesamt 9.000 für Jericho und den Gaza-Streifen vorgesehenen palästinensischen Ordnungshütern sind 7.000 ehemalige Mitglieder der „Palästinensischen Befreiungsarmee“ (PLA), des militärischen Armes der PLO. Weitere 2.000 stammen aus den besetzten Gebieten und wurden in den letzten Monaten in Ägypten und Jordanien ausgebildet.

Unbemerkt hatten sich die palästinensischen Offiziere am Donnerstag mit israelischen Soldaten getroffen, um Absprachen über gemeinsame Patrouillen zu treffen. Seit gestern sieht man je einen israelischen und einen palästinensischen Jeep die Straßen des 64 Quadratkilometer umfassenden Autonomiegebiets entlangfahren. Gemeinsam bewachen sie auch die Jeschiwa, das jüdische Lehrhaus von Jericho. Vor dem Gebäude hatten in den letzten Wochen jüdische Siedler und Knesset-Mitglieder ihr Mißfallen über den Friedensprozeß zum Ausdruck gebracht. Für gestern hatten sie sich wieder angemeldet. Eine israelische Straßensperre hinderte sie jedoch, in die Stadt zu kommen.

In Jericho laufen nun grüngekleidete palästinensische Polizisten herum. Sie waren gestern vollauf damit beschäftigt, sich ausfragen und ablichten zu lassen. In der allgemeinen Euphorie vergaß der Kommandant kurzzeitig seine Kalaschnikow auf dem Tisch eines Caféhauses. Prompt schnappte sich eine kleiner Junge die Waffe und posierte damit für Fotografen. Die offizielle Übergabe der Polizeigewalt erfolgte um acht Uhr morgens, völlig ohne Zeremonie und ohne große Worte. Ein israelischer Soldat breitete einen Fächer von grünen Umschlägen auf einem Tisch in dem Militärlager aus, das nun den Palästinensern gehört. Jeder Umschlag stand für eine Verwaltungseinheit. Das Krankenhaus, die Schulen, das Rathaus, das Gericht: alle bis dato unter israelischer Militärverwaltung stehenden Einrichtungen wurden per Unterschrift übergeben.

Außer einem Haufen Polizisten – 500 trafen noch gestern ein, weitere 1.500 sollen in den nächsten Tagen kommen – sind allerdings noch keine Strukturen geschaffen worden, die für eine autonome Verwaltung unerläßlich sind. Manche PalästinenserInnen beschleicht die böse Ahnung, daß in Jericho ein rechtsfreier Raum entstehen könnte. In der Nacht vor der Übernahme wurde in der Stadt ein Auto gestohlen. Die Besitzerin ging in die gerade noch aktive israelische Polizeiwache. Der Fall wurde von einem israelischen Polizisten aufgenommen und mit einem Vermerk versehen, wonach er der palästinensischen Polizei übergeben werden sollte. Doch als die Bestohlene gestern in demselben Gebäude nachfragte, erklärte ihr ein palästinensischer Uniformierter lapidar: „Das ist vor unserer Zeit geschehen, darum können wir uns nicht kümmern.“